Einer der am meisten unterschätzten Songs von Botany Bay (falls man da wirklich ein Ranking machen wollte) ist ja meiner Meinung nach „Your Diary“.
Und weil der Song eine durchaus bewegte und interessante Geschichte hat, möchte ich an dieser Stelle gerne mal den Versuch unternehmen, diese Unterschätzungs-Angelegenheit zu ändern, indem ich die Geschichte erzähle.
„Rap scheisst auf Dich, Alter!“
Es war irgendwann 2008, als ich bei meinem damaligen Arbeitgeber einen Musiker kennenlernte, der sich mit Hip-Hop, DJing und Elektronik beschäftigte, und der hin und wieder mit einem (oder mehreren, ich weiss es nicht mehr, und es ist mir ehrlich gesagt auch schnurz) Rappern aus der näheren und ferneren Umgebung zusammenarbeitete.
Zwar war besagter Musiker meist sehr damit bemüht, cool zu sein und meine Musik zu ignorieren, aber trotzdem kamen wir mehr als einmal ins Gespräch miteinander. Und da Laura und ich damals immer deutlicher unsere Liebe für Triphop entdeckten und so ziemlich alles von Massive Attack und Tricky begierig in uns aufsogen, nahm ich mir irgendwann ein Herz und fragte ihn, ob er und seine Rapper nicht mal Bock hätten, zusammen an einem Botany Bay Song zu arbeiten.
Seine Antwort war ein sehr bemühtes lässiges Kopfschütteln, und der Satz „Nee, das passt nicht. Wenn die Deine Musik hören… ganz ehrlich, Rap scheisst auf Dich, Alter„.
Tja, dachte ich so bei mir, während ich die schöne Aussage mit einem freundlichen Lächeln quittierte, vielen tausend Dank für dieses wunderschöne Gespräch unter weltoffenen und toleranten Kollegen.
Und beschränkte mich in den folgenden Jahren grösstenteils erfolgreich darauf, mit netten Menschen Musik zu machen.
DJ Don To The Rescue
Fast-forward zu 2011.
Laura und ich hatten uns mittlerweile getrennt, und Steffi hatte den Platz am Mikrophon übernommen. Und mit Steffi kamen auch ne ganze Reihe neue Ideen und Kontakte zu Botany Bay, und eine 1a Songwriting-Partnerin.
Eines Tages im Januar 2011 saßen wir also im blauen Salon in meiner alten Wohnung in Bonn-Mehlem rum und jammten munter vor uns hin. Das muss man sich ungefähr so vorstellen, dass ich in den Drum-Computer ein relativ simples Pattern programmierte, welches dann die ganze liebe lange Zeit vor sich hinstampfte, während ich E-Piano dazu spielte… und Steffi, bewaffnet mit Kuli, Papier & Mikro, neben mir saß, ab und zu was auf das Papier kritzelte und immer wieder so erstaunliche Dinge wie „la la la la la you don’t wanna know, you don’t wanna know“ und „If I could read your diary, la la la la la la la“ von sich gab. Für unbefangene Betrachter schreiend komisch, aber wir hatten ne unglaubliche Menge Spaß dabei.
Irgendwann legte Steffi plötzlich das Mikro hin und sagte: „Weisst Du was da super zu passen würde? Rap!“
Darauf ich so: „Ja, das mag schon sein. Aber Rap scheisst auf mich.“
Darauf Steffi so: „Wie was warum wer jetzt?“
Woraufhin ich kurz die Geschichte von vor drei Jahren rekapitulierte. Steffi wischte meine Bedenken mit einem kurzen (typisch steffi-mäßigen) „ach was, so ein Blödsinn“ zur Seite und erzählte mir von Leuten, die sie in Washington kennengelernt hatte, und die dort so eine Art Rap- und Hiphop-Kollektiv bildeten. Tja, und im Gegensatz zur Köln-Bonner „Szene“ hatten diese Jungs aus Übersee, allen voran DJ Don von Essential Element Productions, nicht die geringsten Berührungsängste.
Will sagen, nach einiger weiterer Arbeit an dem Song, und heftigstem Hin- und Herschicken von Sounds, hatten wir nicht nur einen perfekten und verdammt coolen Rap-Part in dem Song, nein, Don hatte auch die Lyrics zu seinem Part höchstselbst geschrieben und dem Song-Inhalt so eine sehr passende Wendung gegeben.
Bis dahin hatte mir der Song nicht so richtig passen wollen, weil er eine weitere Variation des von uns viel zu oft behandelten Themas „wenn ich nur wüsste was Du denkst“ gewesen war. Aber durch Dons Beteiligung wurde daraus ein „Du willst garantiert nicht wissen was ich denke“-Song, und das machte die Sache wesentlich interessanter. Und Don wurde natürlich später als Co-Autor auf der CD verewigt.
Und ganz davon abgesehen war die Zusammenarbeit mit Don eine ganz großartige Erfahrung. Als ich ihm gegenüber irgendwann zugab dass ich am Anfang Schiss gehabt hatte, dass er mit unserer Art Musik nichts anfangen können würde, sagte er einfach nur: „Why? It’s all music, everything is music“.
Besser kann man es wohl nicht ausdrücken.
Tsunami
Just als ich dabei war, die ersten Test-Mixes des Songs abzumischen, ereilte Japan die Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe.
Wenige Tage später hatte irgendjemand aus der Netlabel/CC-Szene die wirklich gute Idee, ein Benefiz-Album zusammen zu stellen und den Spendenerlös den Erdbebenopfern zur Verfügung zu stellen
(an dieser Stelle muss ich einfügen: Es tut mir fürchterlich leid, aber ich habe tatsächlich vergessen wer das war, und ich habe auch keinen Link mehr zu dem Ergebnis, eine Google-Suche bringt auch nichts Vernünftiges zustande, wir haben damals nichts dazu gebloggt und es gibt anscheinend auch sonst nirgends im Netz eine Erwähnung davon, und wie wir gleich sehen werden ist das leider auch durchaus verständlich und genau eines der Grundprobleme von CC-Musik, aber ich greife vor…)
Das Ganze war als Wettbewerb aufgezogen, und weil wir gerade sowieso an „My Diary“ arbeiteten (und der Song insbesondere mit Dons genialem Rap-Part durchaus kommerzielle Qualitäten entwickelte), beschlossen wir, ihn fertig zu stellen und einzureichen. Ich weiss noch genau, wie Steffi und ich zu diesem Zweck gleich mehrmals hintereinander die Nacht zum Tage machten, nur um das Mastering rechtzeitig fertig zu bekommen und den Song vor der Deadline abzuschicken.
The Great Earthquake Relief Fail
Es ist mir natürlich nicht möglich, die Qualität meiner eigenen Musik objektiv zu beurteilen.
Aber selbst wenn ich hyper-kritisch mit mir selbst bin und nichts Gutes an „My Diary“ lasse, und wenn ich versuche, das Ganze aus dem Blickwinkel einer Person zu sehen, die mit dieser Art von Musik überhaupt nichts anfangen kann, so muss ich doch sagen, dass „My Diary“ unter den Einsendungen vermutlich das beste Lied war.
Es war am besten produziert, am besten arrangiert, am besten aufgenommen, mit dem besten Gesang (naja, es war das einzige Lied mit Gesang) und der interessantesten Melodie (naja, es war das einzige Lied mit Melodie) versehen.
Und natürlich wurden wir nicht genommen.
Was stattdessen heraus kam, das war ein Sampler mit einem dröhnend-statischen Elektronik/Ambient-Track nach dem anderen. Gut, wer das mag, prima. So etwas macht sich exzellent in Aufzügen und auf der Toilette beim Friseur. Nur, und das ist wirklich mein einziges Problem mit der Sache: Wenn man einen Wettbewerb für CC-Musik ausschreibt und damit Erdbebenopfern in Japan helfen möchte, dann sollte man vielleicht den Auswahlprozess so gestalten, dass nicht nur die guten Kumpels aus der ich-hab-nen-PC-und-tolle-Software-und-kann-damit-schräge-Sounds-machen-aber-ich-hab-noch-nie-ein-Instrument-in-derHand-gehabt-oder-eine-Melodie-oder-gar-einen-Song-geschrieben-Szene auf die CD kommen.
Denn so, wie die CD gestaltet war, wurde sie ausschließlich von denjenigen 20 Leuten gekauft, die darauf vertreten waren… und dann muss man sich auch wirklich nicht wundern, wenn CC-Produktionen als Musik zweiter Klasse abgetan werden und nach drei Jahren kein Hahn mehr danach kräht.
Eine vertane Chance und schade. Sehr, sehr schade.
Unbezahlbar
Um alles noch ein bisschen doofer zu machen, wurde „No Excuse“, die erste und einzige EP, die wir initial nicht unter CC-Lizenz veröffentlichten, für die wir einen PR-Menschen eingesetzt hatten, und auf der „Your Diary“ schließlich landete, nicht im geringsten der Erfolg, den wir uns erhofft hatten.
Stattdessen wurden wir eigentlich hauptsächlich in einem drittklassigen Gothic-Webzine von einer bemitleidenswerten Gestalt mit dem Alias Roy Dunkle nach Strich und Faden verrissen (an meinem Geburtstag, war ganz super), und auf den CDs sitze ich heute noch.
Jetzt wo es ne Weile her ist muss ich zugeben, dass ich mich insgesamt sehr gerne an den Entstehungsprozess von „No Excuse“ erinnere… aber dennoch mochte ich nie so sehr, was dabei herausgekommen ist.
Vielleicht deshalb, weil wir damals sehr bemüht waren, irgendwie kommerziell erfolgreich zu werden und einen imaginären „Markt“ zu bedienen, und es deshalb dieses eine Mal tatsächlich stellenweise übertrieben mit unserem Hang zur Überpferektion… oder vielleicht auch wegen dem inzwischen legendären Roy-Dunkel-Fehlstart, oder weil ich persönlich von vornherein lieber ein längeres, kohärenteres, „richtiges“ Album gehabt hätte, die Zeit dazu aber hinten und vorne fehlte… ich weiss es wirklich nicht. Aber auf der anderen Seite, je weiter das alles zurückliegt, desto angenehmer werden die Erinnerungen daran.
Und eine Sache war eben definitiv unbezahlbar: Der Gesichtsausdruck meines Kollegen, als er „Your Diary“ zum ersten Mal hörte. Denn für anderthalb Sekunden wich jegliche „Rap scheisst auf Dich“-Überheblichkeit aus seinem Gesicht.
Die Beherrschung war dann aber schnell wieder gefunden, und viel zu betont lässig wurde mir dann auch prompt erklärt: „Na ja, also das ist ja nicht so toll was er da macht, das sind eben so Standard 90er-Sachen, die richtigen Profis machen das schon ewig nicht mehr so.“
Aber da hatte ich schon längst mein schönstes „Ach rutsch mir doch den Buckel runter“-Lächeln aufgesetzt.
Kommentare
3 Antworten zu „Your Diary“
ich kann das mit den kommentaren, ich hatte nur noch keine zeit, und wenn ich zeit hatte war ich anderweitig befasst 😉
aber – ich mag deine schreibe, lese es sehr gern und will es nicht zwingend „kaputtdiskutieren“
@derbaum: 🙂 Ich weiss das Du das kannst 🙂 Schön, dass Du dabei bist 🙂
…und das mit dem „kaputtdiskutieren“ kann ich voll und ganz verstehen, eigentlich muss/sollte man das auch mit Musik nicht unbedingt machen. Aber für mich ist es wie eine Art Tagebuch… und manchmal ganz interessant, mich zu erinnern, warum etwas so war wie es war… 🙂