KI als Chance für Musiker

Seitdem eine KI mit „Heart On My Sleeve“ angeblich ein täuschend echtes Duett von Drake und TheWeeknd erstellt und damit einen veritablen Hit gelandet hat, ist online wieder einmal die große Diskussion darüber entbrannt, was KI darf und was nicht. Und ob (wir) Musiker vielleicht demnächst alle überflüssig sind. Ob es in Zukunft Musiker nur noch als Stimmen-Zulieferer für KI-Songs braucht. Teilweise wird da ziemlich kontrovers diskutiert, und es hagelt düstere Zukunftsprognosen.

Tja, und weil ich mich zufällig genau in der Schnittmenge der beteiligten Gruppen befinde (ich bin Musiker und ich habe brotberuflich viel mit KI zu tun), dachte ich mir, ich gebe mal auch noch meinen Senf dazu.

Zunächst mal zur Aufklärung: „Heart On My Sleeve“ ist keinesfalls von einer KI geschrieben, sondern von einem Menschen aus Fleisch und Blut. Was allerdings nicht viel heißt, denn das Lied ist so bescheuert simpel komponiert und konservativ instrumentiert, dass KI-Technologie schon bald keinerlei Probleme damit haben wird, einen solchen Song im Alleingang zu generieren.

War in diesem Fall aber nicht so. In diesem Fall wurden nur nach Drake und TheWeeknd klingende Vocals per Audio Deepfake über einen mittelmäßigen Song geklatscht. Seitdem steht die Welt noch ein bisschen mehr in Flammen und die Zukunft der Kunst wird diskutiert.

Einerseits ist es natürlich sehr rührend, dass sich nun plötzlich alle Welt Gedanken darum macht, ob Musiker in Zukunft noch nötig sind, oder ob sie durch Technologie obsolet gemacht werden.

Auf der anderen Seite verschleiert diese Diskussion den Blick auf eine ganz andere – in dieser Diskussion aber dennoch überaus relevante – Tatsache, nämlich, dass die kreative Leistung von Musikern in den vergangenen Jahren dank Streaming, Influencertum und Monopolbildung so unglaublich entwertet wurde, dass es im Prinzip egal ist, ob KI sie nun noch ein bisschen weiter entwertet oder nicht. Kaum ein Musiker kann noch von Albenverkäufen leben; hauptsächlich sahnen ein paar große Companies auf Kosten der Kleinen ab, und alles ist ein großes Geschäft mit einer klar abgesteckten Hierarchie, an deren unterstem Ende die Künstler selbst stehen.

Es sei denn natürlich, es sind ganz große, etablierte Acts. Dann ist das ein bisschen anders. Aber um die soll es hier nicht gehen, denn ein Künstler – und das gerät heutzutage immer mehr in Vergessenheit –, das kann auch jemand sein, der nicht von Plattenfirmen und Promotern in den großen sozialen Medien hochgehypt und in sämtliche Dudelradios der Nation gekauft wird. Das kann auch der Typ von nebenan sein, von dem ihr schon lange nichts mehr mitkriegt, weil Musik nur noch das ist, womit sich ein Geschäft machen lässt.

Und genau da liegt meiner Meinung nach die Chance von KI. Denn KI in der Musik wird kommen, das ist sicher.

Ihr müsst euch das einfach vom Standpunkt einer Plattenfirma anschauen: Warum sollte ich Millionenbeträge ausgeben, damit zwölfköpfige Songwriter-Teams vollkommen untalentierten Musikerdarstellern irgendwelche Hits auf den Leib schreiben, die dann mit viel Aufwand und Autotune mit viel fähigem Studiopersonal aufgenommen und für noch mal mehr Geld in die einschlägigen Kanäle eingespielt werden – wenn ich das selbe Ergebnis auch einfach mit einem einigermaßen fantasievollen Prompt an meiner momentanen Lieblings-KI erzeugen kann?

Richtig. Es gibt keinen Grund. Und deshalb wird KI in der Musik kommen, und sie wird die ganze andere verlogene Maschinerie unnötig machen. Was natürlich sehr schlecht ist für die zwölfköpfigen Songwriter-Teams und das Studiopersonal, und so weiter und so fort. Aber ich habe so ein Gefühl, dass die auch eine neue Beschäftigung finden werden.

Und warum ist dies nun eine gute Nachricht?

Weil sich abseits von der neuen Maschinerie auf ganz natürliche Weise Nischen bilden werden, in denen alternative Formen von Musik und Musikvertrieb existieren werden. Und, ja, diese Menschen werden ebenfalls mit KI experimentieren und ihre technischen Möglichkeiten für sich einsetzen. Sei es, um einen Reim in einem Text zu vervollständigen, oder um neue Klangfarben zu erdenken. Die Technik ist da, und es ist nichts Falsches daran, sie kreativ einzusetzen.

Für diese Nischen, von denen es die Anfänge schon längst gibt, ist der Vormarsch der KI die beste mögliche Nachricht. Denn früher oder später wird sich ein Teil des Publikums danach sehnen, mehr zu bekommen als den allgegenwärtigen Model-Output, mit dem sie von den großen Companies gefüttert werden.

Mit ein bisschen Glück führt das Ganze sowohl zu einer Renaissance von „handgemachter“, alternativer Musik als auch zu einem kreativen Umgang mit den neuen Möglichkeiten.

Und diejenigen aus dem Publikum, die nicht bereit sind, sich nach diesen neuen Nischen umzuschauen und wieder auf echte Musiker zuzugehen und ihre Werke zu würdigen? Nun ja, die werden sich von den großen Companies mit der millionsten Kopie von der Kopie mästen lassen. Bis sie möglicherweise irgendwann aufwachen.

Aber seien wir ehrlich – so ist es doch jetzt schon.


Kommentare

3 Antworten zu „KI als Chance für Musiker“

  1. Danke für den sehr guter Beitrag!
    Mal nicht schwarzmalerisch, sondern realistisch mit Hoffnungsschimmer.
    An diese Sichtweise hatte ich noch nicht gedacht.

    1. Avatar von Stephan
      Stephan

      Vielen Dank 🙂 Und dabei bin ich eigentlich der Meister im Schwarzmalen… 😀

  2. @Stephan@schallundstille.de hey, wow, Stephan, Dein Blog ist im Fediverse? Das war mir ja gar nicht klar 🙂 Schön dass Du hier bist und herzlich willkommen 😉

Schreibe einen Kommentar zu Stephan Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert