Ein Song und seine Geschichte: Feel

 

Float down the river like drifting wood
I’d swim to the shore if I only could
Or back to the beginning to start over again
Only for the sweetness of being myself
But still I remember what is real
I remember everything
And still it makes me want to
Feel and feel and feel and feel and feel

 

Über sechs Jahre ist es jetzt her, dass „Feel“ in einem schäbigen kleinen WG-Zimmer in Heidelberg das Licht der Welt erblickte.

„Feel“ stammt aus einer Zeit, zu der Botany Bay und alles darum herum noch vollkommen anders war als heute.

Und heute soll dieser Song gefeiert werden. Aus Gründen.

(zu den Gründen später mehr!)

In vielerlei Hinsicht ist „Feel“, ohne dass ich das jemals so geplant hatte, die Quintessenz aus Grounded. Es ist der Song, in dem all die grossen und kleinen Grounded-Themen zusammenfließen und einen Sinn ergeben, sowohl textlich als auch musikalisch.

Die auf Grounded immer wieder aufkeimenden World-Music-Elemente sind auf „Feel“ ebenso zu hören wie die düsteren Wave-Anleihen, die in späteren Produktionen deutlicher werdenden Elektronik-Einflüsse und sogar eine gesunde – aber damals noch sehr seltene – Prise harte Gitarrenriffs. Und über alledem thront Lauras Stimme, die mit ihrem patentierten kühl/klassischen Vortrag die lyrische Aussage auf ihre ganz eigene Art und Weise unterstreicht.

Und überhaupt der Songtext – ich glaube, alles, was ich auf Grounded jemals ausdrücken wollte, kommt auf „Feel“ in geballter Form zur Sprache.

Was sicherlich an den Umständen liegt, zu denen dieser Song entstand.

Ich war vollkommen pleite, neue Aufträge blieben schon seit beängstigenden Monaten aus, und während ich mir Gedanken machte, unter welcher Brücke ich wohl in nächster Zeit übernachten würde, durfte ich zuschauen, wie die Leute, denen ich mal durchs Informatikstudium geholfen hatte, in allen möglichen Firmen die Karriereleiter hinauf rannten, akademische Titel erwarben und/oder schwanger wurden und Familie, Häuschen und Gartenzwerg gründeten und mir schulterzuckend erzählten, dass sie leider nix für mich tun könnten aber mir viel Glück wünschten.

Und noch etwas anderes kam dazu.

Ich beschwere mich ja nun gerne und oft darüber, dass Botany Bay kaum jemand kennt, aber im Prinzip haben wir inzwischen eine sehr treue und eingeschworene Fan-Gemeinde und ich bin sehr, sehr glücklich, dass es so ist.

Damals in Heidelberg war es allerdings wirklich und ohne Übertreibung die Hölle. Ganz ehrlich. So gut wie niemand konnte verstehen, was ich da zu tun versuchte, und alles was ich in meinem unmittelbaren Umfeld an Reaktionen bekam, war „Kannst Du das bitte leiser machen?“ oder „interessiert mich nicht solang’s nicht im Radio gespielt oder auf Tauschbörsen gehandelt wird“ oder „das ist ja schon wieder so traurig“ oder „willst Du das nicht mal sein lassen und Dich um Dein Leben kümmern?“ oder eine Kombination aus alledem.

Zwar war alles schon wesentlich schlimmer gewesen und in letzter Zeit ein besser geworden, denn zumindest hatte ich endlich einen schönen Proberaum und einigermaßen zuverlässige Mitmusiker an Land gezogen… aber trotzdem, die drohende Totalpleite hing in der Luft, und die Art und Weise, wie mein tolles Heidelberger Umfeld mir half (nicht), war nicht gerade etwas, was mich die höchsten Töne der Begeisterung anstimmen ließ.

Tja, und eines trüben Abends summte ich diese Melodie vor mich hin und schrieb auf einen Fetzen Papier die Zeilen

yet one more sad song, but I’ll make it loud

und

float down the river like drifting wood
I’d swim to the shore if I only could

Damit fing alles an. Und plötzlich gab es kein Zurück mehr.

Ich war wie besessen.

Erinnerungen daran, wie es sich anfühlt, Dinge wirklich zu erleben und zu fühlen, und wie es sich im Gegensatz dazu anfühlt, wenn man die ganze Zeit nur wartet, bis das Leben endlich wieder weiter geht… dieses überwältigende Gefühl, vollkommen am falschen Platz zu sein und zuzuschauen, wie alle um einen herum normal und angepasst werden… all das brachte ich innerhalb von kürzester Zeit zu Papier, es floss einfach so aus mir raus.

Ich schrieb den Text in Windeseile fertig, und fing sofort an, ein erstes, grobes Demo einzuspielen. Die vorwurfsvollen Blicke meiner Mitbewohnerin und das genervte  „Stephan, weisst Du, wie spät es ist?!“ ignorierte ich zum ersten Mal mit voller Absicht und ohne Reue (gut, ich hätte auch zu unserem Proberaum auf den Dilsberg fahren können, aber das hätte eine Stunde gedauert, und zu dem Zeitpunkt hätte ich alles schon wieder vergessen gehabt)… und innerhalb von weniger als einer Stunde war die erste, grobe Version von „Feel“ im Kasten.

Es sollte noch über ein Jahr dauern, bis die heute bekannte Version von „Feel“ dann tatsächlich aufgenommen wurde, erst der instrumentale Teil in unserem idyllischen, neuen Studio auf dem Dilsberg nahe Heidelberg (mit inzwischen einem stattlichen Arsenal an Gastmusikern), und die Gesangsspuren schließlich mit Laura zusammen im Keller meiner damaligen Wohnung.

Zu jenem Zeitpunkt (irgendwann im Winter 2006/2007) war dank Laura aus meinem „Einzelkämpfer-mit-Gästen“-Projekt ein Duo geworden, in dem es sich mit vereinten Kräften wesentlich leichter kämpfen liess… und wir hatten angefangen, unsere Musik im Internet zu veröffentlichen, um schliesslich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass es, fernab meiner weitgehend verständnislosen Kommilitonen und Mitbewohner, durchaus ein enthusiastisches Publikum dafür gab.

Weil aber die Fertigstellung des Albums noch dauern würde und wir in der Zwischenzeit Gefahr liefen, in Vergessenheit zu geraten (eine ähnliche Situation wie heute auch wieder… history repeating!), entschlossen wir uns zu einem bis dahin für uns vollkommen ungewohnten Schritt: Wir veröffentlichten den Song zusammen mit einem Video auf youtube.

Eben dieses Video (das für viele unserer Fans im Frühjahr 2007 die „Einstiegsdroge“ gewesen sein dürfte) erreichte heute nacht auf youtube die (für ein Botany Bay Video) sehr stolze Anzahl von 10000 Klicks.

Womit wir bei dem Grund angekommen sind, warum „Feel“ heute gefeiert wird.

Eines vorneweg: Ja, die ernüchternde Realität ist mir durchaus bewusst – jedes lustige Amateur-Katzenvideo bekommt auf youtube innerhalb von sechs Wochen mehr Klicks als „Feel“ innerhalb von sechs Jahren.

Aber Botany Bay war noch nie eine Band, die es besonders leicht hatte. Und wenn man bedenkt, dass „Feel“ zu einer Zeit entstand, wo ich mir so gut wie sicher war, dass der Song niemals von mehr als vielleicht zwanzig Menschen gehört werden würde, dann ist das eine ganz enorm beachtliche Leistung. Hätte damals jemand versucht, mir weiszumachen, dass mal über zehntausend Menschen das Video zum Song sehen würden, ich hätte denjenigen für komplett bescheuert erklärt.

Zurück zum Video.

Wir drehten also eines. Was sich schwierig gestaltete, denn ich war immer noch vollkommen pleite, und alles verfügbare Geld war in Musikinstrumente und Studioequipment geflossen.

Relativ schnell kam mir aber ein – wie ich heute immer noch finde – ziemlich cooler Einfall. Vor einiger Zeit schon war ich auf archive.org über Zeichentrickfilme von Ub Iwerks gestolpert (Ub Iwerks ist einer der ganz frühen und großen Meister des amerikanischen Cartoons, der jedermann als Erfinder von Mickey Mouse bekannt sein sollte, wenn die Welt auf irgend eine Art und Weise fair wäre), die schon lange gemeinfrei waren. Unter anderem gab es da eine sehr charmant gemachte Version vom standhaften Zinnsoldaten… und eben diesen Trickfilm nahm ich schliesslich als Grundlage für das Video zu „Feel“.

Ub Iwerks‘ Film liess sich prima auf „Feel“ zurecht schneiden, und erledigte dabei quasi nebenher das große Problem, dass uns zum Filmen der Band (also Laura und meiner Wenigkeit) nur geliehene Digitalkameras mit sehr bescheidenen Auflösungen zur Verfügung standen (man erinnere sich: Es war Ende 2006, und die wenigsten Digitalkameras konnten damals Filme mit mehr als 320×200 Pixeln aufnehmen). Geschickt über Ub Iwerks‘ Meisterwerk geblendet fielen die Unzulänglichkeiten der Aufnahmetechnik kaum auf.

„Feel“ wurde ein großer Erfolg. Natürlich ausschließlich in Botany-Bay-Maßstäben, – sprich, wir wurden von drei Internetradios entdeckt und gespielt, und auf garageband.com  (einer Plattform, wo die Teilnehmer gezwungen wurden, sich etwas anzuhören, was sie noch nicht kennen… unserer Meinung nach ein geniales Konzept, das es heute in dieser Form leider nicht mehr gibt) heimsten wir mehrere Awards für „best songwriting„, „best production„, „best female lead vocal„, „track of the day“ und was weiss ich noch alles ein.

Und schnell wurden wir auch darauf hingewiesen, dass wir verdächtig nach Coldplay und/oder Mike Oldfield klingen.

Was daran liegen mag, dass die Leute eine zeitlang so gut wie alles mit melodischen Klavierläufen an Coldplay erinnerte, weil dies die einzige Referenz war, die sie für melodische Klavierläufe hatten. Aber genau diese Klavierläufe gab’s bei Botany Bay (und sehr vielen anderen Bands) schon lange, bevor Coldplay überhaupt existierten, insofern kann ich das nicht gelten lassen. Ähnlich verhält es sich mit MIke Oldfield, mit dem immer mal wieder gerne verglichen wird, sowie sich irgendwo eine Sängerin blicken lässt, die ein bisschen nach Maggie Reilly klingt und eine simple und hübsche Melodie über ein riesiges Arsenal an Instrumenten singt – so, wie es bei Botany Bay sehr oft der Fall war.

Nun ja. Von diesen unvermeidlichen Vergleichen einmal abgesehen war „Feel“, wie schon gesagt, ein großer Erfolg für uns. Als Laura und ich das Projekt zwei Jahre später schließlich und endlich auf die Bühne hievten, wurde „Feel“ sehr schnell zu einem integralen und unverzichtbaren Bestandteil unseres Live-Repertoires; wenn irgendwo ein Klavier rumsteht ist es sehr wahrscheinlich, dass ich früher oder später „Feel“ darauf spiele… und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir es auf zukünftigen Konzerten unter den Tisch fallen lassen werden.

Inzwischen sind über sechs Jahre vergangen, und so gut wie alles ist anders geworden.

Vieles, was mir zum Entstehungszeitpunkt von „Feel“ katastrophal und auswegslos erschien, hat sich zum Guten gewendet. Botany Bay hat nicht nur eine sondern gleich mehrere Metamorphosen durchgemacht und sich mit etlichen Produktionen eine kleine aber feine und treue Fangemeinde erspielt.

Und ich persönlich? Bin noch lange nicht da angekommen, wo ich hin möchte… aber ich fühle mich auch schon lange nicht mehr wie das Stück Treibholz, das Laura auf „Feel“ besingt… und dafür möchte ich mich bei allen bedanken, die uns seit sechs Jahren die Treue halten, die uns die vergangenen sechs Jahre über begeleitet haben, und die in den letzten sechs Jahren dazu gekommen sind.

Die Reise geht weiter, und sie ist spannender als je zuvor.

Und hier noch einmal das Video, mit dem die Reise für viele angefangen hat, damals im Frühjahr 2007… viel Spaß damit!


Kommentare

5 Antworten zu „Ein Song und seine Geschichte: Feel“

  1. ohne worte aber ganz viel verstehen und wiedererkennen!

  2. Danke für diesen tollen Beitrag. Es ist interessant, die Story hinter einem Song zu kennen! Und sehr schön, dass in diesem Blog wieder etwas „passiert“ …
    Auf die nächsten Jahre, ich bleib´ Euch treu!
    Gruß aus der Pfalz … gar nicht weit weg von Highdelberg ….

  3. Nun kenne ich endlich die Geschichte hinter dem tollen Video, welches bereits seit einiger Zeit Bestandteil meiner Playlist auf YouTube ist.
    Einfach nur toll!
    Viele Grüße
    Günter alias MotoBiker

  4. Ich mag Coldplay. Ich finde es genial, dass Coldplay wie Botany Bay klingt! Die mag ich nämlich auch. Sehr. Und der Text hier oben ist superspitzenklasse! Weiter so!

  5. Avatar von Nochmal der Micha, diesmal hier!
    Nochmal der Micha, diesmal hier!

    Yeah, da hast du sicherlich Recht, dass man bei besonders eingängigen Songs schnell an „irgendeinen“ bereits bekannten Song sich erinnert fühlt. Und jeder meint dann etwas anderes herauszuhören. Aber das spricht ja nur für die Qualität deines Songs und sorry, ist bestimmt nervig, dass dann immer zu hören, dass es denn einen an dies, den anderen an jenes Lied erinnert. Es ist ja schliesslich deine kompositorische Eigenleistung.