Zuallererst: Ich verstehe, dass ihr “KI” gegenüber kritisch und abgeneigt seid.
Dass ihr findet, “KI” entwertet und vernichtet Kultur.
Ich sehe das genau so, wie ihr in meinem offenen Brief an Mikey Shulman von Suno ausführlich nachlesen könnt.
Ich verstehe auch, dass ihr euch regelmäßig und lautstark über “KI” beklagt, dass ihr eure Follower beschwört, dass sie “KI” nicht einsetzen sollen und stattdessen, wenn es um Kunst geht, bitteschön auf einem Künstler aus Fleisch und Blut zurückgreifen sollen.
Verstehe ich alles zu 100 Prozent. Könnte von mir sein.
Und doch muss ich sagen, ich hatte nun drei Erfahrungen im Fediverse, die mich schließlich an einen Punkt gebracht haben, an dem ich es durchaus verstehen könnte, wenn jemand zur “KI” greift, statt euch um eure Hilfe zu bitten.
Malers Hüs
Mein aktuelles Album wurde im Dezember 2024 released. Da Musik-Releases sehr gerne ignoriert werden wenn sie nicht mit irgendeinem aufmerksamkeitsheischendenn, visuellen Element daher kommen, dachte ich bei mir selbst: “Hey, wäre doch nett, mal wieder ein Video zu machen”.
Da ich leider nicht mehr in einer Situation bin, wo “hochkarätige” Videoproduzenten nur darauf warten, endlich ein Video mit mir drehen zu dürfen, startete ich also einen Aufruf im Fediverse und fragte, ob mir jemand helfen wolle.
Viele meiner Follower teilten meinen Aufruf – tatsächlich helfen oder mitmachen aber wollte niemand.
Naja, nicht ganz niemand:
- Eine als Lehrer tätige person wollte das Video als Projekt mit ihrer Schulklasse machen, aber das Ganze fiel schließlich spektakulär ins Wasser, als ihre Schülerchen meine Musik hörten und maßlos enttäuscht waren, dass ich nicht Jay-Z bin. Was mir sehr leid tut, denn diese Person war sehr lieb, total motiviert und begeistert von Malers Hüs – und litt am Ende wesentlich mehr als ich darunter, dass ihre Schüler keinerlei erkennbaren Musikgeschmack haben.
- Eine Person bot mir an, per live coding eine Visualisierung zu machen. Obwohl das nicht das war, was ich mir vorgestellt habe, fand ich das Ganze recht interessant und es kam schließlich zu einer Zusammenarbeit – als Ankündigungsvideo war das Ganze aber nicht geeignet.
Im Endeffekt hatte ich also über 50 Boosts auf meinen Aufruf. Es meldeten sich insgesamt drei Personen zurück, die “jemanden kennen der vielleicht was machen würde”, von dem sich dann aber rausstellte dass er eben nichts dergleichen möchte.
Ich hatte also: Nichts. Es wäre damals schon möglich gewesen, mit “KI”-Unterstützung etwas Passendes, Spannendes und Interessantes zu generieren, aber ich atmete tief durch, machte einen langen Spaziergang, und machte das Ankündigungsvideo schließlich selbst, mit Kdenlive und Stockfotos und Archivmaterial. Für ein aufwändiges Album wie “Malers Hüs” leider ziemlich billig, aber ich denke, es erfüllte seinen Zweck.
In den folgenden Wochen gab’s dann immer wieder empörte Posts auf Mastodon, wie die KI auf dem Vormarsch ist und echte Künstler unsichtbar macht. Alles richtig. Trotzdem dachte ich mir, “hm ja, aber, wo seid ihr denn, ihr echten Künstler?”
Und weil ich an Karma glaube, beschloss ich schließlich, selbst den ersten Schritt zu machen und meine Dienste anzubieten.
Original Soundtrack By
Schall Und Stille
Eine Sache, die ich in meinen 35 Jahren als recording artist immer wieder zu hören bekam, ist diese: Wow, Du solltest unbedingt Filmmusik machen.
Und tatsächlich begab es sich sogar eines Tages, dass Musik von Botany Bay für den Soundtrack zu “From Monday Till Sunday”, einer Dokumentation über Windsurfer, verwendet wurde.
Das war’s dann aber auch. Botany Bay ging schließlich den Weg alles Irdischen, und als Schall und Stille blieb ich bislang ein wohl gehüteter Geheimtip, von dem all die Leute da draussen vielleicht gar nicht wissen, dass ich durchaus fähig wäre, eine sehr schöne Filmmusik oder einen Score für ein Computerspiel zu schreiben.
Ich bot also in einem (“bitte boosten…”) Mastodon Post meine Dienste als Komponist, Arrangeur und Produzent an – und zwar gratis. Würde mich das Projekt interessieren, würde ich Musik dafür machen. Und zwar nicht irgendein atonales mit drei Fingern auf dem Minikeyboard in den Sequenzer eingetipptes Elektronik-Geblubber, sondern gerne auch richtige, durchkomponierte Musik. Weil ich sowas durchaus kann.
Der geneigte Leser ahnt es schon: Wollte niemand.
Schade, denn ich wäre echt ein Schnäppchen gewesen für wer auch immer zugegriffen hätte. Aber stattdessen wieder: Um die 50 Boosts, Leute die Leute kennen die Leute kennen die vielleicht was brauchen und (mein persönliches Highlight): Ein Fernsehsender in den Vereinigten Staaten, dessen verantwortlicher Typ mich ganz gnädig wissen lässt dass er mal schaut ob er mich “irgendwie unterbringen kann”… und dann: Stille.
Ja, hm, ok, euer Problem, nicht meines.
Trotzdem, ein fader Beigeschmack blieb – doch wenigstens hatte ich nun nicht länger das Gefühl, um etwas gebeten zu haben, was ich selbst nicht auch angeboten habe.
Mitosis
Ein paar Monate später entdeckte ich meine Liebe für Retro-Computing und insbesondere die Mega65-Plattform wieder (mit der mich eine interessante Geschichte verbindet) – und weil ich etwas Ablenkung brauchen konnte, setzte mich hin und begann, ein kleines Spiel für die Kiste zu schreiben.
Das Spiel wurde größer und größer und war schon bald so gut wie fertig, und ich dachte so bei mir selbst: Hey, es wäre toll, dafür ein bisschen schönes und lustiges Pixel-Artwork zu haben. Wäre doch toll, ein Labor im Hintergrund zu haben, und wenn die bunten Kleckse nicht nur bunt wären sondern Augen hätten und Grimassen schneiden könnten.
Und gleichzeitig dachte sich Stephan-Teufelchen: “Nee, Stephan, lass es. Schreib nichts ins Fediverse. Bringt eh nix. Danach biste nur wieder frustriert und Leute entfolgen Dich weil Du immer so negativ bist“
Und gleichzeitig dachte sich Stephan-Engelchen: “Och Stephan, hab mal ein bisschen Vertrauen. Build it and they will come. Außerdem gibt es wesentlich mehr Grafiker als Filmer, Du hast also echt ne Chance!” Und so weiter.
Stephan-Engelchen gewann (und Stephan-Teufelchen lacht sich darüber gerade schier tot), und ich schrieb einen Call For Artists, in dem ich nach einem Pixelkünstler suchte, der mich bei dem Spiel unterstützen würde. Ich versah das Ganze mit einem (billigen, lokalen, nicht umweltzerstörenden) generierten Mockup, und harrte der Dinge die da kommen mochten.
Ja nun, der geneigte Leser kann sich denken, was passierte. Wieder paarunddrölfzig Boosts und Leute die Leute kennen die Leute kennen die eventuell Leute kennen und eventuell mal mit Leuten reden möchten die Leute kennen, und eine liebreizende Person die mich beschimpfte weil ich ein generiertes Mockup verwendet hatte, und ansonsten mal wieder: Das Schweigen im Walde.
Ich gestehe: An dieser Stelle empfand ich ein starkes Verständnis für Menschen, die sich ihr Artwork einfach von Midjourney generieren lassen – und dieses Mal brauchte es auch einen sehr ausgedehnten Spaziergang um wieder runterzukommen.

Ja, aber was soll’s, das Spiel ist jetzt raus.
Es hat ein sehr schlichtes Artwork bekommen (ich bin Musiker, Fotograf und Softwareentwickler… für bildender Künstler war einfach kein Platz mehr übrig), es wird von der Community gemocht, und es wäre eine schöne Chance für einen von euch da draussen gewesen, an was Schönem mitzuarbeiten.
Was soll das?
Und damit, liebe Künstler im Fediverse, wären wir am Schluss meiner kleinen Aufzählung angekommen, und ich muss zugeben: Ich verstehe euch nicht so ganz.
Alle habt ihr Angst vor KI, an jeder Ecke des Fediverse beschwört ihr eure Follower, echte Künstler zu unterstützen und mit echten Künstlern zusammen zu arbeiten – aber wenn es wirklich drauf ankommt, dann zirpen die Grillen. Und sie zirpen auch, wenn ich euch auf dem Silbertablett und mit Schleifchen obendrauf die einmalige Chance biete, echte, schöne und handkomponierte Musik in eurem Projekt einzusetzen.
Und wenn man es dann wagt, euch direkt anzuschreiben (wie ich es einst sehr freundlich, höflich und in gekonnter Sprache bei einem zumindest im Fediverse sehr bekannten politischen Karikaturisten mit 14k Followys tat, weil er eine Illustration geschaffen hatte, die 1:1 zu einem Lied von mir gepasst hat), dann ist man euch ab einer gewissen Follower-Zahl noch nicht mal ein kurzes “Nein” wert.
Echt jetzt, Fediverse-Künstler?
Ich hätte ein ganz klein wenig mehr von euch erwartet.
Jetzt könnt ihr natürlich sagen: “Wer bist Du, dass Du uns kritisierst? Niemand ist gezwungen, bei Deinen komischen unbekannten Projekten mitzumachen. Und wir wollen auch Deine höchstwahrscheinlich seltsame und unhörbare Musik nicht für unsere tollen Videos und Games. Wenn wir nicht wollen, dann wollen wir halt nicht.”
Und dann würde ich mit den Schultern zucken und sagen, nö, das wäre mir durchaus klar, und dass ich nicht denke, dass hier das Problem liegt. Klar muss nicht jede:r mit meinem Zeug klarkommen und/oder unbedingt mitmachen wollen.
Aber vom Austausch mit anderen Menschen weiss ich, dass es mir nicht allein so geht. Zwar habe ich über die Jahre tolle Musiker über das Fediverse kennengelernt und tolle Freundschaften geschlossen – aber disziplinübergreifend ist die Bereitschaft zur künstlerischen Zusammenarbeit im Fediverse generell irgendwas zwischen nicht so wahnsinnig hoch und nicht vorhanden.
Ich weiss nicht, woran das liegt. Also sagt es mir bitte. So wie es ist, habe ich einfach nur Vermutungen, und jede davon ist ungut.
Vielleicht sind einfach nicht genug Künstler im Fediverse.
Vielleicht müsste ich mit meinen Anfragen wo anders hingehen. Bluesky oder so.
Vielleicht waren meine Anfragen auch nicht flashy und geil genug und ich hätte sie mit tollen Thumbnails mit “THIS ARTIST WANTS TO DO WHAT NO ONE HAS DONE BEFORE ON THE FEDIVERSE!!” und ähnlichen Schlagzeilen schmücken müssen… oder sie gleich persönlich auf irgendwelchen Gatherings stellen, zu denen ich allerdings nicht eingeladen werde.
Was auch immer die Antwort ist, eines weiß ich genau: Ich werde mir in Zukunft zehnmal überlegen ob ich im Fediverse noch mal nach künstlerischer Zusammenarbeit suche oder es lieber gleich bleiben lasse, und das ist verdammt schade. Denn es ist wahr – KI macht uns das Leben schwer, und wir sollten zusammenhalten und uns gegenseitig motivieren, damit wir als Künstler weiter bestehen und wachsen können.
Leave a Reply