Beim Klagefall wurde vor einiger Zeit von einem schönen Lieblingsplatz berichtet… abgerundet mit der Frage, ob der geneigte Leser auch einen Lieblingsplatz habe.
Damals dachte ich mir spontan „Mensch, ja. Darüber musst Du bloggen, wenn Du mal wieder dort bist“.
Nun, gestern war es nach vielen Monaten wieder einmal so weit.
Råb
An einem traumhaften Wochenende wie diesem, wenn wochenlanges düsteres, kaltes und matschiges Wetter endlich endet und die Sonne überhaupt nicht mehr zu scheinen aufhören möchte, sind Rhöndorf und das Siebengebirge wahrlich nicht die geeigneten Orte für Menschen, die gesteigerten Wert auf Abgeschiedenheit und Ruhe legen. Denn an solchen Tagen fallen wahre Heerscharen an Touristen in unser kleines Naturschutzgebiet ein – wer wollte es ihnen auch verdenken, wenn das Wetter so schön ist.
Leider hat sich in den letzten Jahren unter Deutschlands hippen Stadtbewohnern ein neuer Trend mit der schönen Bezeichnung råb durchgesetzt.
Ähnlich wie hygge kommt råb aus Dänemark, und grob gesagt geht es bei råb darum, mit möglichst vielen Menschen zusammen (vorzugsweise Nachwuchs und sonstige Familie) laut schreiend und brüllend („SCHAU MAL DA! EIN REH!!!“ / „NEE DAS IST KEIN REH, DAS IST EIN BUSCH!!!“ / „WO MÜSSEN WIR JETZT LANG?! WAAAS?!!! ICH VERSTEH DICH NICHT!!!!“) und mit den Armen fuchtelnd durch den Wald zu laufen und ehemals ruhigen Plätzen auf diese Art und Weise jeglichen Zauber zu nehmen.
Die Königsdisziplin beim råb ist es, an einem fremden und ruhigen Ort wohnhafte Menschen durch spontane Äußerungen wie „OH SCHAU MAL YVONNE, DA ISSES ABER SCHÖN!!!“, „OH JA, OB DA WOHL JEMAND WOHNT?!“, „HAHA, WIE DIE WOHL DAS BIER HOCHBRINGEN?!“, „STELL DICH MAL DA HIN, ICH WILL EIN FOTO MACHEN!!!“ und „JUSTIN! JESSICA! KEVIN! WO SEID IHR?!!! WOLLT IHR MIT AUF INSTAGRAM?!!!“ dazu zu bringen, spontan ihre sieben Sachen zu packen und kopfüber die Flucht zu ergreifen.
(Ja, ich gebe zu, die Bezeichnung råb – dänisch für „schreien“ – habe ich gerade erfunden. Ich hab gestern gelesen, es gibt jetzt „business hygge„, und da dachte ich so bei mir, ich versuche mal, das noch irgendwie zu überbieten)
Lange Rede, kurzer Sinn – Frau K. und ich packten spontan unsere sieben Sachen und flüchteten kopfüber an einen Platz, den nur wenige Menschen kennen. Es gibt dort ein sonniges altes Mäuerchen, eine sonnige alte Treppe, etliche stolze, alte Bäume und sonnige Felsen. Man muss dazu ein bißchen klettern, und man muss Wege begehen, die sich nicht sofort als solche zu erkennen geben und auch nicht ausgeschildert sind… und das mag auch der Grund für eine gewisse Exklusivität des Ortes sein.
Tatsächlich ist es selbst an einem Wochenende wie diesem möglich, im Siebengebirge ganz allein für sich zu sein und eine herrliche Aussicht und absolute Ruhe zu genießen.
Weil wir gerne hätten, dass dies weiterhin der Fall ist, gibt es in diesem Artikel keine Wegbeschreibung und keine GPS-Koordinaten. Nur ein paar Eindrücke von der Umgebung möchte ich der geneigten Leserschaft nicht vorenthalten 😉
Pah
Immer, wenn wir an diesem Platz sind, erinnern wir uns an eine Begebenheit, die nun inzwischen zwei Jahre zurück liegt.
Die Eigentümer der Wohnung über uns (welche ihnen als Ferienwohnung dient, und von der ich einen Teil als Studio anmiete), hatten damals auf einer Tagung eine Frau kennengelernt, die in der Nähe einen Job angenommen hatte und nun händeringend ein Dach über dem Kopf suchte.
Weil es sich bei den Eigentümern um extrem nette und selbstlose Menschen handelt, ließen sie ebendiese Frau, die im Folgenden Pah genannt werden soll – die Gründe hierfür werden noch klar werden –, spontan die Mansarde über meinem Studio beziehen.
Wir hatten die letzten Jahre bis dahin größtenteils allein auf der Burg verbracht – doch naiv, wie wir waren, freuten wir uns auf die neue Mitbewohnerin, insbesondere weil sie eine Yoga-Lehrerin war und Frau K. damals Yoga für sich entdeckt hatte.
Leider schleppte unsere neue Mitbewohnerin etliche Issues mit sich herum, die das Zusammenleben auf der Burg in den folgenden Wochen und Monaten zunehmend schwierig gestalten würden.
Zum einen war da die Tatsache, dass sie mit Männern im Allgemeinen und mit mir im Besonderen nicht wirklich gut klar kam. Mit Frau K. und mit Steffi und mit sonstigem weiblichem Besuch konnte sie prima reden, aber mir wurde aus dem Weg gegangen, an mir wurde vorbei geschaut, ich wurde auch schon mal überhört, wenn ich „Guten Morgen“ sagte… und eines schönen Tages wurde ich auch vollständig ignoriert, als ich ihr zusammen mit Buba im Wald begegnete.
An einem Platz, wo man sich zuhause wähnt, ist so ein Verhalten nicht so wahnsinnig toll. Aber es wurde schnell klar, dass sie in ihrer Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit einem oder mehreren Menschen mit einem Y-Chromosom gemacht hatte, an die ich sie wohl irgendwie erinnerte (irgendwann erzählte sie auch von einem Menschen, den sie mal kannte, und der ‚war genau so wie Du‚ – eine Aussage, die man immer wieder gerne hört, insbesondere wenn das Gegenüber nicht den allerleisesten Schimmer hat, wie ‚man ist‘).
Also sei’s drum, alles nicht so schlimm.
Dann war sie der Meinung, wir würden unseren Hund nicht richtig erziehen. Buba war damals noch öfter mal an der Schleppleine… aus dem einfachen Grund weil sie einen sehr starken Jagdtrieb hat und man prima aus unserem Garten entwischen konnte, wenn man einem Eichhörnchen hinterher rennt. Das war für Pah nicht einzusehen. „Ihr dürft den Hund nicht die ganze Zeit anleinen“, „der Hund braucht Freiheit“, „wenn er euch liebt, wird er auch zu euch zurückkommen“ und ähnliches mehr waren die Weisheiten, die man nicht unbedingt braucht, wenn man erfahrener Hundebesitzer ist und einen nicht ganz einfachen Straßenhund adoptiert hat. Aber da wir sehr genau wussten, dass Buba eine sehr glückliche Hündin ist und dass sie uns sehr liebt und dass wir genau das Richtige für sie tun, hörten wir uns die Ratschläge lächelnd an und bedankten uns artig dafür.
Etwas schwierig war auch die Tatsache, dass es bei sich dem Yoga, welches Pah zu praktizieren und unterrichten pflegte, um eine anscheinend extra-esoterische Abart davon handelte, bei der es von essentieller Bedeutung zu sein schien, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, arrythmische Klopfgeräusche zu erzeugen und laut irgendwelche Mantren zu skandieren.
Ein Nebeneffekt all dessen war, dass aus der Mansarde in diesen Zeiten oftmals ein lautes „Pah… pah… pah… pah… pah… pah… pah… pah… Pah… Pah… Pah… PAH… PAH… PAH… PAH!!! PAH!!! PAH!!! PAH!!! PAH!!! PAH!!! PAH!!! PAH!!!! PAH!!!! PAH!!!! PAH!!!!!! PAH!!!!!!“ zu vernehmen war, begleitet von lauten Schlägen mit der flachen Hand auf Holz und abgerundet und veredelt mit einem sehr seltsamen, durchdringenden, künstlichen und gequälten Lachen, das sich klanglich irgendwo zwischen Horrorfilm und Porno-Nachvertonung bewegte. „Ahahahahaha… uahahahahaha… haaah…. haaaah… aaahahahaha… ahahahaahaha… aaaaaaaaah…. aaah… hahahahahahaha… aahahahaaha aaaah…„
Tatsächlich weiß ich auch nicht, ob das alles noch etwas mit Yoga zu tun hatte, oder ob es sich um irgend etwas anderes handelte, was ich mir gar nicht näher vorstellen möchte.
Wie dem auch sei: Alles nicht so schlimm.
Wir sind sehr tolerante Menschen, und wir haben auch ein paar Macken. Und so lernten wir, damit zu leben. Und wir nannten sie auch erst Pah, nachdem sie wieder aus unserem Leben verschwunden war.
Es war auch nicht schlimm, dass Pah für ihre Yoga-Kurse darum bat, auf unserem Drucker ein paar Sachen ausdrucken zu dürfen.
Selbstverständlich ließen wir sie das gerne tun, weil wir nette Menschen sind. Irgendwann, nach etlichen zig hundert Seiten Pah-Pah-Pah-Anleitungen, streckte unser Drucker alle Viere von sich und war zu nichts mehr zu gebrauchen, und da war es auch nicht schlimm für uns, dass sie auf diese Neuigkeit mit „Ach, das ist jetzt blöd. Wann kauft ihr denn einen neuen?“ reagierte. Sie hatte das sicher irgendwie nett gemeint.
Nein. Richtig schlimm wurde es, als im September Candor bei uns einzog.
Nun ist es durchaus so, dass Candor nach einem halben Jahr in unserer Obhut (und lange, nachdem Pah wieder ausgezogen war) damit begann, ein paar ungewollte Verhaltensweisen an den Tag zu legen – die wir mit fachmännischer Hilfe allerdings schnell wieder in den Griff bekamen.
In dieser Anfangszeit jedoch war Candor der sanfteste und netteste Hund, den man sich vorstellen konnte. Er war zu diesem Zeitpunkt von Tierheim zu Tierheim gereicht worden, hatte eine 700km lange Reise von Bulgarien nach Deutschland hinter sich und wollte einfach nur gefallen und geliebt werden. Er wollte jeden Menschen, dem er begegnete, davon überzeugen, dass er bei ihm eine Heimat und seine Zuneigung verdient hätte.
Doch Pah war von Anfang an felsenfest überzeugt davon, dass es sich bei Candor um einen überaus gefährlichen und aggressiven Kampfhund handelt, der eingesperrt werden muss.
Nun kann ich verstehen, wenn jemand Angst vor Hunden hat. Ich habe selbst Angst vor der einen oder anderen Sache. Und ich bin dann auch garantiert der erste, der sich bemüht, eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden… und normalerweise klappt das auch.
Womit ich aber überhaupt nicht umgehen kann: Wenn jemand mit erhobenem Zeigefinger auf mich zustürmt, mir sagt ich „müsse“ meine Hunde „wegsperren„, und „sollte irgendwas passieren, dann zeig‘ ich Dich an, das schwör‘ ich Dir!“ (Originalzitat).
Unglücklicherweise tat Pah in der Folgezeit alles menschenmögliche, um die Situation noch weiter eskalieren zu lassen. Fortan schlich sie ums Haus, lugte vorsichtig um die Ecke, und warf beim Anblick unserer (friedlich auf der Terrasse ruhenden) Hunde auch schon mal die Hände in die Luft, rief laut „HUCH!“ und rannte davon… was Candor übrigens nicht die Bohne interessierte, Buba mit ihren Jagdhund-Instinkten aber komplett durchdrehen ließ.
Es hätte Lösungen für diese Probleme gegeben, sogar einige. Pah hätte unter unserer Aufsicht Candor vorsichtig kennen lernen können. Wir hätten sie zur Hundeschule mitnehmen können. Sie hätte an praktischen Beispielen erlernen können, dass Buba niemandem nachstellen möchte, der nicht plötzlich und unvermittelt wie ein aufgescheuchtes Reh davonrennt. Oder sie hätte zunächst mal einfach einen (durchaus vorhandenen) anderen Weg zum Hauseingang gehen können, der nicht direkt an unserer Terrasse vorbei führt.
Aber normale Kommunikation war nicht mehr möglich, und als ich es wagte, unser Kommunikationsproblem einmal anzusprechen, wurde mir – in tatsächlich aggressivem Tonfall – erklärt, dass ich der einzige wäre, der hier irgend ein Problem hätte und dass ich daran gefälligst mal arbeiten solle.
Und da der Klügere immer so lange nachgibt bis er der Dumme ist, kam es dann im September 2017 so, wie es kommen musste: Unsere Hunde wurden des lieben Friedens willen hinter einem Bretterverschlag auf unserer Terrasse eingepfercht, ich lieferte mir noch ein paar vollkommen absurde Diskussionen mit Pah (während Candor auf meiner Seite vom Bretterverschlag ganz ruhig da lag und schnarchte), und Frau K. und ich überlegten uns zum allerersten Mal in unseren mittlerweile 8 Jahren im Siebengebirge, warum wir uns diese Scheiße auch nur einen Tag länger antun sollten… und ob es nicht an der Zeit wäre, uns ein eigenes Haus mit Garten zu kaufen, wo wir tun und lassen könnten was wir wollten, und wo Gestalten wie Pah keinen Zutritt hatten.
Etwas später, es war ein goldener und warmer Tag im Oktober, saßen wir wieder mit unseren gefährlichen Hunden auf der Terrasse und aus der Mansarde über uns schallte es wieder „Pah… pah… pah… PAH… PAH!! PAH!!! PAH!!! PAH!!!“ und es wurde auf Holz geschlagen und horrorpornogelacht, und das alles ging mir so richtig enorm auf den Piss, als Frau K. sagte: „Komm, wir gehen an unseren geheimen Platz“.
Und genau das taten wir. Wir schnappten uns die Hunde, einen Rucksack mit ein paar Flaschen Bier, verließen unseren Bretterverschlag und verbrachten an eben jenem geheimem Platz unterhalb des Drachenfels einen unserer allerschönsten Tage des Jahres 2017 im Siebengebirge.
Ich kann mir gar nicht erklären, warum es so schön war. Weil wir unsere Ruhe hatten? Weil Pah nicht da war? Weil dies unser Platz war, den uns niemand wegnehmen konnte? Keine Ahnung. Aber seitdem ist dieses Plätzchen unauslöschlich mit der Flucht vor Pah verbunden… und mit der Erinnerung daran, dass wir viel zu oft Dinge mit uns machen lassen, die einfach nicht richtig sind.
Pah zog wenige Wochen später aus (nicht wegen uns oder unseren Hunden, sondern aus anderen Gründen), und das Leben auf dem Berg normalisierte sich wieder.
Doch das bis dahin schöne und sichere Gefühl, dass wir hier wirklich zuhause waren, hatte eine gehörige Delle abbekommen… und wir sollten nur allzu bald erneut daran erinnert werden, wie unangenehm es ist, wenn Menschen in der direkten Umgebung keinerlei Empathie zeigen und sich für etwas Wichtigeres halten.
Doch diese Geschichte wird irgendwann anders erzählt werden.
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