Kein Lied

Dieses Foto hängt in meinem Studio an der Wand, und es ist ein ganz besonderes Foto für mich. Es handelt sich nämlich – auch wenn dies nicht mehr zu erkennen ist – um das Selbstportrait einer Frau, die einmal eine sehr gute Freundin von mir war.

Besagte Frau kannte ich seit Ewigkeiten – wir lernten uns kennen, als sie vor vielen, vielen Jahren in die Studenten-WG zog, in der ich damals auch wohnte.

Bevor irgendjemand die unvermeidliche Frage stellt, nein, es war nie „etwas“ zwischen uns (und das bedauert auch niemand, und darum geht es hier auch nicht) – ausser eben einer guten Freundschaft, beziehungsweise, ja, irgendwie halt Seelenverwandtschaft, und der Tatsache, dass wir beide zusammen turbulente Zeiten durchmachten, sie auf ihre Weise, ich auf meine, und manches davon auch zusammen.

Oder war es so? Tatsächlich bin ich mir nicht mehr sicher.

Nachdem ich schließlich ins Rheinland umzog, verloren wir uns ein wenig aus den Augen – nur um uns nach einigen weiteren Jahren ganz in der Nähe meiner neuen Heimat wieder zu treffen. Unsere Leben berührten sich immer wieder hier und da, und es war irgendwie immer schön; es war immer so ähnlich wie das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Bei einer dieser Gelegenheiten machte sie für mich obiges Foto von sich, auf ihrer alten Polaroid, die sie mit einem der ersten Exemplare Film vom „Impossible Project“ geladen hatte.

Nun, einige Jahre später ist auf dem Bild nichts mehr von ihr zu sehen – es ist auf gespenstische und durchaus passende Art und Weise genau so verblasst und leer geworden wie unsere Freundschaft. Und damit ist es für mich ein ganz großes und wichtiges, wenn auch trauriges, Kunstwerk.

Was ist passiert?

Was das Bild betrifft, ist das relativ leicht zu erklären. Die ersten Versuche, den legendären Polaroid-Film wieder aufleben zu lassen, waren mit etlichen Problemen behaftet. Die originale Zusammensetzung der Polaroid-Chemikalien war ein streng gehütetes Geheimnis, und man hatte sich beim „Impossible Project“ hier und da verschätzt, so dass die Bilder nicht von großer Beständigkeit waren und sehr, sehr viel schneller verblassten als normaler Polaroid-Film.

Im richtigen Leben ist die Sache leider etwas schwieriger. Meine Freundin hatte einen Mann, nennen wir ihn X, kennengelernt. Und das war auch alles schön und recht und gut, bis X sie eines Tages mies behandelte.

Was auch nicht wirklich ein Problem wäre. Viele Leute suchen sich aus dem einen oder anderen Grund Partner aus, die sie mies behandeln (ich selbst hatte das schon in Vollendung), und nicht wenige davon halten das ein Leben lang durch. Meine gute Freundin aber machte den Fehler, mir davon zu erzählen, mir Beweise der Mies-Behandlung zu zeigen und Hilfe und Rat bei mir zu suchen.

Es soll an dieser Stelle nicht ins Detail gegangen werden. Nur soviel: Ich war zu gleichen Teilen mitfühlend, aufgebracht und wütend, und mein Rat war (in letzter Konsequenz, nach ein paarmal hin und her und einer gehörigen Portion Gaslighting), X zu verlassen, und – falls das irgendwie nicht möglich sei weil sie doch so sehr an ihm hing – einen harten Schnitt zu machen und räumliche und emotionale Distanz dazwischen zu bringen.

Das tat sie auch. Was mir ziemlich leid tat, denn das war alles extrem blöd für sie, und ich hatte es sehr nett gefunden, eine sehr gute Freundin in meiner Nähe zu haben.

Nun ja, wir blieben in Kontakt, und nach einem halben Jahr schrieb sie mir eine Mail, sie würde am soundsovielten soundso in die Gegend kommen, vielleicht könnte man sich da ja treffen. Ich freute mich sehr, antwortete, ja, das sollten wir auf jeden Fall im Hinterkopf behalten. Der Soundsovielte soundso rückte näher, ich schrieb ihr eine Mail, erkundigte mich, wie es denn jetzt aussehe, und erhielt keine Rückmeldung.

Zwei Tage später dann die Antwort: Ja, sorry, sie hatte sich mit X getroffen, und das wäre dann zu stressig geworden, auch noch bei mir vorbei zu kommen.

Aua.

Tja, und das war’s dann mehr oder weniger.

Wir hatten uns zwar danach noch ein paar mal getroffen, aber jegliche Offenheit und Unbekümmertheit zwischen uns war weg. Das Thema X war immer der Elefant im Raum, der so wenig wie möglich und wenn dann nur oberflächlich angesprochen wurde – vermutlich, weil ich eben wusste, was ich wusste. Und weil sie wusste, dass ich wusste, was ich wusste, und mir meine Meinung schon lange gebildet hatte.

Inzwischen hat sie ein Kind von X, wir schreiben uns noch alle Jubeljahre mal eine kurze belanglose Zeile, und von unserer Freundschaft ist so viel übrig wie von dem Lichtbild, das an meiner Studiowand hängt.

Bin ich sauer, dass sie mich damals nicht besuchen gekommen war? Vielleicht ein bisschen, aber das ist das kleinste Problem an der Sache.

Bin ich sauer, weil sie jetzt wieder mit X zusammen ist und mit ihm nun das (dem Vernehmen nach stetig wachsende) Familienglück lebt? Nein, das ist, wie schon gesagt, ihr Problem und ihre Entscheidung.

Ich bin hauptsächlich sauer auf mich selbst, weil ich es nicht ändern kann, zu wissen, was ich weiß. Und weil ich wieder einmal den Fehler gemacht habe, einer Freundschaft größeren Wert beizumessen als offensichtlich vorhanden war. Ein Fehler, der sich durch mein ganzes Leben zieht.

Vor ein paar Wochen habe ich ein Lied über sie geschrieben. Ich habe es sogar beinahe fertig gekriegt. Der Text ist fertig, die Musik ist fertig, ich müsste es eigentlich nur noch singen. Aber ich habe mich dagegen entschieden. Meine ganz persönlichen Schwierigkeiten mit Freundschaften habe ich schon mit „Ground Truth“ musikalisch adäquat verarbeitet, und ich habe mir für meine Arbeit mit Schall und Stille als Musikprojekt fest vorgenommen, zu neuen Ufern aufzubrechen statt Altes zu wiederholen.

Weil die Geschichte aber doch irgendwie aus mir raus musste, habe ich stattdessen also nun diesen Artikel hier geschrieben. Und tragischerweise konnte ich dies tun, ohne befürchten zu müssen, die Situation noch schlimmer zu machen, denn mein Blog und meine Musik waren ihr schon immer vollkommen egal.

Ich habe mir immer wieder gesagt, das sei ok so, man könne auch mit jemandem gut befreundet sein, ohne dass dieser Jemand Interesse an Dingen zeigt, die für einen selbst ganz essentiell wichtig sind.

Aber vielleicht war auch ganz genau das mein Fehler. Vielleicht hätte ich daran schon merken können, dass es irgendwann sang- und klanglos auseinander gehen würde.

Vielleicht kriege ich das irgendwann noch mal hin mit den Freundschaften. Das Bild in meinem Studio erinnert mich auf jeden Fall daran, dass es nicht einfach ist.