Es gibt Dinge, die können nur aus der Stille kommen.
Stimmen, die man nicht hört, wenn alles laut ist.
Farben, die man nicht sieht, wenn alles bunt ist
Beinahe ein Jahr lang habe ich hier nun nichts mehr geschrieben.
Nun ist es im Großen und Ganzen betrachtet natürlich von äußerst geringer Relevanz, was Stephan Kleinert wann und wo niederschreibt… und wenn ich meinen letzten Artikel noch mal Revue passieren lasse, so scheint er mir eigentlich ein ganz passabler Abschied von einem Internet zu sein, das mir fremd geworden ist.
Trotzdem ist mir gerade danach, meine Gedanken mit dem Internet zu teilen. Oder mit dem, was noch davon übrig ist.
Dieses Jahr nämlich, in dem ich hier nichts geschrieben habe, war ich keinesfalls untätig. Hauptsächlich habe ich es damit verbracht, mit Botany Bay ein neues Album aufzunehmen.
Vor ein paar Jahren noch hätte ich die Öffentlichkeit daran teilhaben lassen. Hätte in regelmäßigen Abständen protokolliert wie die Aufnahmen laufen und was sich ereignet… hätte Soundschnipsel verteilt und Promo-Videos produzieren lassen.
Aber ich musste auf schmerzhafte Weise erfahren, dass Öffentlichkeit nicht gut für mich ist. Klar, ich fand sie immer gut, solange sie mich wahrnahm und mir Feedback zu meinen künstlerischen Unternehmungen gab. Solange ich auf einer Bühne stand und das Publikum zahlreich war und mich bejubelte. Aber ich fand sie aus den falschen Gründen gut… und würde das immer noch tun, wenn ich sie behalten hätte.
Zufällig vollzog sich zur gleichen Zeit, in der sich dunkle Schatten über die Gesundheit meiner Familie legten und mein musikalischer Output sich infolgedessen bald auf null reduzieren sollte, die endgültige Verwandlung des Internets von einem nicht allen bekannten Ort der Vielfalt hin zu einem lauten Clickbait- und Werbe-Marktplatz, auf dem das Außergewöhnliche nicht mehr gesucht und nicht mehr bemerkt wird, und wo die Nische nur noch für sich selbst da ist.
Nachdem mein Vater gestorben war, unternahm ich einige Versuche, Botany Bay neu zu starten… obwohl mir eigentlich die Kraft dazu fehlte, und ich der vollkommen blödsinnigen Meinung war, die richtige Anzahl an Likes würde mich schon irgendwie am Laufen halten.
Das Feedback, das ich aus dem Netz bekam, wurde aber weniger und weniger. Nachdem 2014 eine neue Single (für die ich natürlich jede Menge kräftezehrenden Aufwand getrieben hatte) vollkommen unbeachtet unterging, gab ich desillusioniert auf. Ich meldete mich bei Facebook, Twitter und Diaspora ab und leckte meine Wunden; und als 2015 dann meine Mutter starb, da war die mediale Reflexion meines künstlerischen Selbstbilds im Internetz wirklich das Allerallerletzte, worüber ich mir Gedanken machte.
Inzwischen bin ich spaßeshalber bei Twitter wieder angemeldet und krebse bei rund 70 Followern rum, von denen im Schnitt drei bis fünf reagieren, wenn ich was von mir gebe (und über die ich auch wirklich froh bin, und die ich sehr mag!!)
Aber etwas ist anders… und in letzter Zeit, wo die Veröffentlichung unseres neuen Albums näher und näher rückt, habe ich viel darüber nachgedacht, was es ist.
Zwar muss ich zugeben dass es mich nach wie vor nervt, wie ein simples „ich geh jetzt einkaufen“ von vermeintlich wichtigen Netzpersönlichkeiten tausendmal mehr Gewicht hat, als wenn ich beispielsweise einen Artikel wie diesen hier schreibe… in der Tat weiss ich aber, dass ich heilfroh sein kann, nicht die Anhängerschaft in den sozialen Netzwerken zu haben, die ich mir immer gewünscht hatte.
Warum das so ist?
Nun, der Stephan Kleinert, der 1000 Follower auf Twitter hat, und bei dem sich ganz viele Leute wie Bolle freuen, wenn er einen neuen Song veröffentlicht, der hätte dieses Album, das letztes Jahr auf der K-Burg entstanden ist, niemals aufnehmen können.
Es ist etwas, das aus der Stille kommen musste.
Ich hätte nie gehört, wie diese Töne mich aus der Stille rufen. Ich hätte nie Dinge abseits der unmittelbaren Welt um mich herum in dieser Art und Weise wahrgenommen, hätte die unmittelbare Welt um mich herum mich beklatscht und bejubelt. Für mein künstlerisches Schaffen die gleiche Aufmerksamkeit zu bekommen wie ein Influencer für die Bemerkung dass er Verdauungsprobleme hat, das hätte die Musik erstickt.
Dazu kommt: Hätte die sogenannte „Twittergemeinde“ (oder sonst irgendeine Gemeinde) mich im großen Stil ermutigt und motiviert, so hätte ich doch nur wieder das getan, was ich jahrelang getan habe, als das Netz noch ein anderer Platz war: Ich hätte versucht, diesen Menschen noch mehr zu gefallen. Ich hätte es zwar vor mir selbst nicht zugegeben, aber es wäre so gewesen.
So aber hatte ich Stille.
Und in der Stille hörte ich Töne.
Und es war vollkommen egal ob sie jemand gut finden würde oder nicht, denn es waren meine Töne, sie waren erst mal nur für mich. Bald hatte ich – durch reinen Zufall, ich hatte das nie so geplant – 12 Musiker um mich herum, die diese Töne mit mir hörten… und alles andere war egal, wir dachten nicht ans Netz oder an Likes oder ob uns jemand retweeten würde; wir waren in einem eigenen Kosmos hier, und es war – um ein viel strapaziertes Wort dieses Mal an ganz genau der richtigen Stelle zu gebrauchen – magisch.
Tatsächlich leisteten Steffi und ich ganz am Anfang sogar einen feierlichen Schwur, dass nichts von unseren Aufnahmen ins Netz kommen würde, ehe die Sessions vorbei wären. Wir wussten genau: irgendwas davon ins Netz zu tun würde die Sache nur kaputt machen, und so ließen wir das schön bleiben*.
Jetzt ist das Album so gut wie fertig. Und es ist das Beste, was ich je gemacht habe, in meinem ganzen Leben… und das will was heißen, denn ich gehe munter auf die 50 zu, und ich habe schon ziemlich viel gemacht.
Und ich gestehe, ich habe Angst davor, dieses Werk schon bald mit dem Netz zu teilen. Nicht weil ich mich vor einstelligen Likes und Retweets fürchte, oder vor drei wöchentlichen Besuchern auf der Homepage.
Sondern weil es mir wie ein Kind – mein Kind – vorkommt, das in der Stille eine glückliche, behütete und erfüllte Kindheit hatte.
Ich habe Angst davor, es aus der Stille zu schicken.
* Mit einer kleinen Ausnahme: Wir gingen zum Schluss den Kompromiss ein, einen ganz kleinen Kreis von Menschen, die zu uns gehalten hatten, mit einem kleinen Vorschau-Video zu belohnen. Weil sie es verdient haben, und weil wir unendlich dankbar sind, dass es sie gibt. Öffentlich haben wir das aber auch erst gemacht, nachdem es seinen Zweck erfüllt und unsere Freunde es gesehen hatten… und uns egal sein konnte, wie das Netz darauf reagiert.
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