Es ist schon witzig, wie die Dinge so laufen können.
Mein letztes „fully featured“ Musikvideo war mit Botany Bay zur Single „No Excuse“.
Das war vor 12 Jahren.
Damals schwor ich mir, nie wieder ein Musikvideo zu machen. An einem brutal heißen Sommertag in einer verlassenen Fabrikhalle gedreht, war „No Excuse“ fürchterlich aufwändig, anstrengend und stressig gewesen. Hinzu kam, dass der Kameramann ein ausgemachter Volltrottel war, und dass künstlerische Differenzen zwischen Steffi und mir sehr deutlich zu Tage traten (ich hielt die ganze Aktion – zugegebenermaßen wenig diplomatisch – für verschwendete Zeit, während sie total darin aufging).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die lächerlichen 324 Klicks und drei Kommentare, die wir damals auf Y*uT*be bekamen, den Aufwand in keiner Weise rechtfertigten, und so kam es schließlich zum sehr entschiedenen „nie wieder“ meinerseits.
(nein, das Video ist nicht mehr online, und das wird es auch nie wieder sein ;))
Jetzt ist es aber mit Musik heutzutage so, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich nur dann zum Zuhören bewegen lassen, wenn es auch bewegte Bilder gibt. Wenn man diese Menschen erreichen will, dann sollte man wenigstens einen Teaser oder ein Lyric Video oder sonst was in der Art haben. Das ist der Grund, warum es für den „Drunken Fisherman“ schließlich einen offiziellen Teaser gab, der bis zuletzt die Startseite hier zierte:
Dieses Ding war damals schnell und dreckig aus Archivmaterial zusammengeschnippelt worden und für mich hauptsächlich eine Übung im Videoschnitt unter Linux gewesen. Ich weiss auch ehrlich nicht ob es gut oder schlecht ist, Feedback darauf gab es nie, aber mein Label behauptet, dass es seinen Zweck erfüllt hat, und das ist die Hauptsache.
Nun steht die Veröffentlichung meiner neuen EP vor der Tür, und als ich mit meinem Label die Release-Daten durchging, kam schließlich die Idee auf, die Produktion wieder mit einem Video zu bewerben.
Im Gegensatz zum „Drunken Fisherman“ haben wir auf „Biike“ sogar dieses Mal seit langem wieder – ohne, dass das beabsichtigt gewesen wäre – einen Track mit Hit-Qualitäten, und so stand plötzlich die Frage im Raum, ob wir nicht vielleicht ein „richtiges“ Musikvideo machen wollen.
Ganz nach Konrad Adenauer („was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“) beschloss ich kurzerhand, das Schicksal entscheiden zu lassen.
Und zwar gab es gab mit V. einen ganz alten Kontakt, einen professionellen Videoproduzenten aus Berlin, der uns damals bei Botany Bay sehr verbunden gewesen war, und mit dem zusammen immer wieder der Plan im Raum gestanden hatte, mal ein richtig gutes Video zu produzieren. Das Leben kam dann dazwischen und aus dem Plan wurde nie etwas, wir blieben aber in Kontakt.
Auch wenn dieser Kontakt die letzten Jahre etwas abgekühlt war.
Ich hatte V. auf die Premiere von „Thanksgiver“ eingeladen, darauf aber keine Reaktion erhalten. Auch meinen letztjährigen Fedivision-Beitrag hatte ich ihm geschickt, darauf aber nur eine knappe Antwort bekommen, die sich mit dem Song nicht beschäftigte – womit er sich in die durchaus ansehnliche Gruppe von Menschen einreihte, die bei Botany Bay noch sehr interessiert an meinem Schaffen gewesen waren, seit deren Ende aber auf irgendwas zwischen weitem Abstand und absoluter Funkstille gegangen waren.
Fast-Forward zur neuen EP.
Da ich nichts zu verlieren hatte, schrieb ich V. nun doch wieder an, stellte ihm vorab den beinahe finalen Master der „Biike“-EP zur Verfügung und fragte, ob er eventuell Lust hätte, unseren alten Plan in die Tat umzusetzen.
Es entstand ein netter kleiner persönlicher Austausch per Mail, in dessen Verlauf er mir offenbarte, dass er die alten Sachen von Botany Bay zwar sehr mochte, mit meinem neuen Material aber überhaupt nichts mehr anfangen könne; dass er sich für irgendeine Band, die er neulich irgendwo gesehen habe und die mir nix sagt, viel mehr begeistern könne; dass er denke, all die hochkarätigen Orchester und Musiker mit denen er jetzt zusammen arbeite hätten ihn verdorben, und dass er deshalb leider ablehnen müsse.
Das menschliche Empfinden kann eine sehr kuriose Sache sein, denn ich fühlte in diesem Moment zwei grundverschiedene Dinge gleichzeitig, die sich aus der Ferne betrachtet gegenseitig ausschließen müssten, sich bei näherer Betrachtung aber prima ergänzen.
Das eine war ganz klar Enttäuschung, dass ich einen von mir geschätzten Menschen künstlerisch nicht mehr erreiche, und nebenbei noch die Quantifizierbarkeit künstlerischer Güte qua einer wie auch immer zu definierenden „Hochkarätigkeit“, sowie mein Mangel an ebendieser, postuliert wurde.
Die andere aber war wirklich und ehrlich empfundene, verdammt große Freude, Erleichterung und Dankbarkeit darüber, dass es endlich – nein, ENDLICH, himmelherrgottnochmal, in Großbuchstaben! – mal jemand hinkriegt, mir zu sagen, was Sache ist.
Ich habe seit dem Tod meines Vaters anno 2012 den Großteil meiner Hörer verloren. Knapp 95% sind weg.
Bei den meisten ist mir das ziemlich egal, weil ich sie nicht kenne, weil unser Verhältnis damit nur oberflächlich war, und weil ich mir tausend Gründe vorstellen kann, warum sie weg sind.
Vielleicht, weil wir als Botany Bay nicht mehr alle paar Monate was neues veröffentlicht haben, uns nicht mehr mit dem Nimbus des Geheimnisvollen umgaben; weil viele Menschen plötzlich Einblicke in mein Privatleben bekamen und feststellen mussten dass ich auch nur ein Typ wie jeder andere war, weil Facebook unsere Beiträge versteckt hat, weil wir uns nicht mehr nackt fürs Cover der nächsten CD ablichten ließen…
…oder was auch immer. Es ist echt nicht so wichtig.
Aber bei denen, die ich zumindest ein bisschen kannte, war es mir nicht so egal. Bei diesen Leuten brachte es mich ins Grübeln, ich zerbrach mit den Kopf, was ich eigentlich so schrecklich falsch gemacht hatte, dass sich so viele nicht mehr für mich interessierten – all diese Menschen, die Artikel über uns in die Wikipedia gebracht hatten; die uns zu ihren Podcasts und Radioshows eingeladen hatten; die bei mir angefragt hatten, ob ich Lust hätte, ihr nächstes Album zu produzieren; die mit uns auf Tour gehen wollten; die Videos mit uns drehen wollten; die mit uns zusammen auf dem Summer Music Camp die Idee der freien Musik zu verbreiten versuchten… und so weiter und so weiter und so weiter.
Alle weg, und niemand davon hat mir jemals gesagt, warum eigentlich.
Bis auf erwähnten Videoproduzenten – und dafür bin ich bin ihm wirklich dankbar. Denn, so komisch es klingt, mit „ich kann mit Deiner Musik nichts mehr anfangen“ kann ich etwas anfangen. Das ist vollkommen ok. Ein in sich vollkommen valider Grund, nicht mehr auf meine Veröffentlichungen zu reagieren und sich auch sonst nur noch spärlich zu melden.
Noch besser – es nimmt mir die Zweifel und die Angst, ich hätte vielleicht irgendetwas anders machen können oder mich irgendwie menschlich daneben benommen; es ist ein wunderbarer und sehr angenehmer Freispruch für mich (soweit es mich betrifft, hat sich meine Musik ganz klar weiterentwickelt; und selbst wenn es nicht so wäre, ich kann nicht anders als die Musik zu machen die ich nun mal mache).
Sei das alles wie es wollte, V.’s Ablehnung einer Zusammenarbeit tat noch etwas anderes mit mir. Sie triggerte hart meinen nach wie vor sehr ausgeprägten „Jetzt erst recht“-Mechanismus.
Wie, da möchte jemand kein Video für mich drehen? Ich bin nicht mit ausreichend Hochkarätigkeit™ ausgestattet? Ok, kein Problem, machen wir das halt selbst. Natürlich würde das Ergebnis lange nicht so atemberaubend, professionell und großartig werden wie es mit V. ziemlich sicher geworden wäre… aber dabei sein ist alles 🙂
Und so setzte ich mich mit Katja (meine bessere Hälfte und fotografisch ganz weit vorne) und Suse (meine großartige Gastsängerin auf „Flames“ und „Friends“) zusammen und wir überlegten, ob es möglich wäre, in nicht mehr als zwei Tagen schnell und unkompliziert ein Video zu „Flames“ zu drehen, an dem wir alle Spaß haben würden, das nicht in Stress und Anstrengung enden würde.
Wir kamen zu dem Schluss, dass dies möglich sei. Und es freut mich sehr, an dieser Stelle berichten zu können, dass es dieses Mal überhaupt nicht anstrengend war; dass wir drei eine Menge Spaß hatten, und dass das Ergebnis jetzt bei meinem Label ist, das gerade die pre-release und die Presse und Drucksachen vorbereitet.
An dieser Stelle geht nochmal mein herzlicher Dank an Suse und Katja – mit euch dreh ich noch zig Videos, wenn es sein muss – und an V. für seine Ehrlichkeit, über die ich mich wirklich sehr gefreut habe.
Und euch, die ihr so tapfer bis zum Ende durchgelesen habt, möchte ich es natürlich auch nicht vorenthalten. Viel Spaß mit „Flames“!
(für die, die sich fragen: Das Ding ist auf peertube gehostet, einer quelloffenen, verteilten und sehr gut funktionierenden Alternative zu Y*uT*be. Und zwar ist dies so, weil ich es nicht einsehe, dass vor meiner Musik das dämliche Werbegelaber von irgendwelchen Retorten-Thelens oder sonstigen Krawattis geschaltet wird, ohne dass mich jemand um Erlaubnis gebeten hat. Wer es aber unbedingt seiner Mutter schicken möchte und Angst hat, dass sie mit peertube nicht klar kommt, es gibt auch einen Youtube-Link: https://www.youtube.com/watch?v=mNyNhwmcaUQ)
Schreibe einen Kommentar