Einen Schritt zurück

Ich erzählte euch ja neulich von meinem Bekannten, dem Video-Produzenten, der kein Video mehr für mich drehen möchte, weil ihm meine Post-Botany-Bay-Werke nichts mehr sagen und er nur noch mit „hochkarätigen“ Künstlern zusammenarbeitet.

Auch wenn ich seine Ehrlichkeit mir gegenüber sehr schätze – diese Geschichte mit „hochkarätig“ stieß mir doch etwas bitter auf, da ich wirklich nicht finde, dass sich an meiner Musik seit Botany Bay irgendetwas qualitativ verschlechtert hätte.

Nun ja, inzwischen kann ich ihn besser verstehen, denn sein neues Video für eine hochkarätige Künstlerin ist jetzt raus. Und ich muss zugeben, die Erkenntnis daraus hat mich ein kleines bisschen nachdenklich gemacht, denn Video und Musik erinnern mich sehr an den Holzweg, auf dem ich auch mal war.

Also erst mal kurz zum Video und zum Lied. Die Geschmäcker sind verschieden, ich persönlich finde sie beide etwas belanglos. Aber ich muss zugeben, sie sind handwerklich äußerst korrekt, und beachtliche Mengen Hochkarätigkeit extrudierend.

Und genau das, das konnten wir früher erschreckenderweise auch ziemlich gut.

  • Extra für die akustischen Instrumente ins Studio gehen, weil es was her macht
  • Einen 40stimmigen Chor drauf kleistern, weil es was her macht
  • Einen amtlichen Rapper von der Westküste drüber rappen lassen, weil es was her macht
  • Hier ein Cello, da eine Viola, da fünf Gitarren, weil es was her macht
  • Nochmal extra einen anderen Gitarristen für die 10 Sekunden, in denen es nach Nightwish klingen muss, weil es was her macht
  • In ein professionelles Mastering-Studio damit, damit’s auch ja amtlich rüber kommt, weil es was her macht
  • Einen großen Remix-Wettbewerb veranstalten, weil es was her macht
  • Sich für das Booklet halbnackt ablichten lassen, weil es was her macht
  • So tun als wären man super mystisch, abgehoben, metaphysisch und geheimnisvoll, weil es was her macht

Klar hat das Eindruck gemacht, und das wollten wir auch: Eindruck machen. Und klar dachten dann einige Leute, wow, was sind die doch hochkarätig! dabei waren wir eigentlich wirklich immer nur Laura und Stephan von nebenan.

Und auch klar, dass es Menschen gibt, die das zur Quantifizierung künstlerischer Güte heranziehen, obwohl es damit nix zu tun hat.

Davon abgesehen, dass ich einfach nur meine Musik machen möchte, verfolge ich mit Schall und Stille ganz bewusst eine ganz konkrete Strategie, nämlich: Einen Schritt zurück gehen, Ballast reduzieren und auf gar keinen Fall irgendwas nur deshalb tun, weil es was her macht.

Momentan finde ich mich (für mich ziemlich überraschenderweise) in einer Situation wieder, wo die Songs komplexer und die Instrumentierung reicher wird. Die letzten paar Tage hab ich damit zugebracht, einen Track, der insgesamt aus 80 Spuren besteht, irgendwie so zu arrangieren, dass man sowohl die 12 Gitarren als auch die 8 Cellos noch deutlich raushört… aber selbst dabei achte ich sehr streng darauf, dass nichts in der Musik landet, das nur da ist, um irgendjemand zu beeindrucken.

Da sind all diese Sachen drin, weil es sich irgendwie so ergeben hat, weil ich die schön finde, und weil ich sie in meinem Kopf so gehört habe. Nicht, damit irgendjemand sagt „wow, der Stephan ist ja mal hochkarätig, für den würde ich gern ein Video drehen“. Ich mach das für mich.

Was natürlich ein bisschen schade ist, denn so kriege ich keine hochkarätigen Videos. Auf der anderen Seite mache ich mir und meinem Publikum auch nichts vor, was nicht ist.

Nicht falsch verstehen, ich liebe die Sachen, die ich mit Botany Bay gemacht habe. Aber ein bisschen weniger Hochkarätigkeit, und ich hätte das Publikum, das uns nur für den schönen Schein liebte, vielleicht gar nicht erst für mich gewonnen – und wäre dann nicht so herb enttäuscht gewesen, als es wieder weg war.


Kommentare

7 Antworten zu „Einen Schritt zurück“

  1. @Stephan Ja, ja und ja. Genau das. Stimme Dir voll und ganz zu. Ich würde auch sagen, dass das der einzige Weg ist, sich zu finden und dann treu zu bleiben.

    Zitat des Monats:
    "beachtliche Mengen Hochkarätigkeit extrudierend" – Großartig, danke.

  2. Ich empfinde deine neuen Alben in keiner Weise schlechter als die alten. Vor allem Bike finde ich sehr gelungen, an einigen Stellen bekomme ich Gänsehaut davon.
    Aber jedem das seine. Und sicher bist du wirklich besser dran ohne die „Fans“ die es nur auf das Drumherum abgesehen hatten.

  3. Zuvorderst: Es gibt nur gut gemachte und schlecht gemachte Musik, das ist „Handwerk“. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

    Wie definiert sich „hochkarätig“? Ist damit der ganze „Zuckerguss“ gemeint? Sorry, aber: Was macht das her?

    Ich mag Deine Musik. Und da gibt es kein hochkarätiges Hermachen. Mal ein paar Spuren mehr, mal ein paar weniger. Alles gut, wenn´s dann passt und stimmig wirkt.

    Aber davon abgesehen: Das „hochkarätige“ Video würde mich schon sehr interessieren …

    1. Naja, ich habe ehrlich auch ganz lange gegrübelt, was das sein soll. Aber ich denke, ich verstehe es allmählich. Es ist so eine Mischung aus „oh, da sind ja schon 100 Leute die es gut finden, also muss es gut sein“ und dem ganzen Schmuck drumherum, das auf-Hochglanz-polierte, das „wir tun so als seien wir total deep und hätten voll die Message“… schwer auszudrücken.

      Ich glaube, ich bin in meiner Musik sehr nahbar geworden; Und das ganze Herumgefruste (in Ermangelung eines besseren Wortes) dass sich niemand für Thanksgiver interessiert, hat gezeigt dass ich auch nur ein ganz normaler Mensch bin. Das fanden einige Zuschauer und ehemalige Blog-Leser sehr abtörnend, und es ist ein großer Schritt weg von irgendwelchen elfengleichen Wesen mit Schmetterling am Kragen, die geheimnisvoll und abenteuerlustig schöne Musik in die Welt strömen lassen und juhuuu alle jubeln.

      Ich weiss es natürlich nicht genau. Aber es ist so eine Vermutung von mir 😉

      Wollte das Video eigentlich nicht verlinken, damit es nicht heisst, „ach, der Stephan ist doch nur neidisch“. Deshalb nochmal ganz ausdrücklich: Ich finde nicht, dass es schlecht ist. Und ich glaube, dass Leute so was mögen und lieben werden, und ich möchte es auf keinen Fall schlecht machen. Aber eine emotionale Resonanz erzeugt es in mir nicht, und ich erkenne so einiges wieder, was ich in meiner Zeit bei Botany Bay besser bleiben gelassen hätte. Egal. Hier ist es.

  4. […] über die Formulierung „Hochkarätigkeit extrudierend“ die Stephan Kleinert in einem Blogpost auf seinem Blog schallunstille.de so schön in die Welt gesetzt hat – und komme zu dem Schluß, dass es mir (genau wie Stephan) […]

  5. […] über die Formulierung “Hochkarätigkeit extrudierend” die Stephan Kleinert in einem Blogpost auf seinem Blog schallunstille.de so schön in die Welt gesetzt hat – und komme zu dem Schluß, dass es mir (genau wie Stephan) […]

  6. […] alte Bekanntschaften kann ich ja aufgrund meiner nicht länger vorhandenen Hochkarätigkeit leider nicht mehr zählen, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass doch noch jemand in die Bresche […]

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