Ich dachte, ich erzähle vielleicht einfach mal ein bisschen was darüber, wie es ist. Wie es sich anfühlt.
Es fühlt sich ungefähr folgendermaßen an:
Du fühlst Dich gut. Dir geht eine neue Melodie im Kopf herum, Du setzt Dich ans Keyboard und klimperst ein bisschen. Ja, das ist sie. Genau diese Melodie.
Du beschliesst, einen Schritt weiter zu gehen. Du nimmst die Melodie auf. Du hörst sie ein bisschen an, summst etwas dazu, singst etwas dazu. Erst Fantasieworte, dann ein paar richtige, englische Worte. Oh ja, das passt.
Du fühlst Dich gut. Du nimmst einen Deiner Synthesizer und schraubst ein bisschen an den Knöpfen, bis Du einen Sound hast, der zu der Melodie passt. Du nimmst diesen auf. Oh ja, das passt.

Du fühlst Dich gut. Du nimmst einen anderen Synthesizer und machst hier noch ein bisschen was von einem anderen neuen dazu – hm, nee, das ist zu arg. Du änderst den Sound wieder. Hm, auch noch nicht richtig Du änderst den Sound wieder. Oh ja, das ist es, genau so soll das!
Inzwischen sind ein paar Tage vergangen. Du fühlst Dich gut. Das Lied hat noch eine Drumcomputer-Spur bekommen, Du summst wieder dazu, singst wieder, in Deiner Fantasiesprache, und plötzlich hast Du eine Ahnung, worum es in dem Lied gehen soll, und Du schreibst, und die Sätze fließen einfach nur so aus Dir heraus.
Wieder vergehen einige Tage. Inzwischen hat das Lied einen Text. Du hörst es Dir an, und Du hörst eine Stimme darauf. Es ist die Stimme von Andrea, die schon einmal etwas für Dich gesungen hat. Ja, Andreas Stimme würde zu diesem LIed ganz wunderbar passen, da bist Du sicher.
Du schreibst Andrea an, schickst ihr das Demo, fragst sie, ob sie Lust hat, dieses Lied zu singen. Ja aber sicher doch, kommt die Antwort zurück. Du fühlst Dich gut. Das wird ein großartiges Lied.
Du fühlst Dich gut. Du hörst das Lied noch ein paarmal an, es fällt DIr auf, irgendwie fehlt noch etwas darauf. Eine Gitarre wäre toll. Oder zwei. Oder drei. Und Du weisst auch schon genau, wer sie spielen soll. Milo hat früher schon mit Dir zusammen gearbeitet, und sein Gitarrenspiel würde zu diesem Lied ganz wunderbar passen, da bist Du sicher.
Du schreibst Milo an, schickst ihm das Demo, fragst ihn, ob er Lust hat, Gitarre auf diesem LIed zu spielen. Ja aber sicher doch, kommt die Antwort zurück. Du fühlst Dich gut. Das wird ein großartiges Lied.
Die Tage ziehen ins Land, es werden daraus Wochen und Monate, bis das Lied fertig ist. Andrea kommt irgendwann vorbei und singt ihre Gesangsspuren ein, und mit Milo tauschst Du solange Daten per Cloud aus, bis es passt.
Aber natürlich ist es nicht nur das eine Lied, es ist ein ganzes Album, das so entsteht. Und schließlich, nach vielen Monaten Arbeit ist es fertig.
Es war ein enormer Aufwand, es so hinzukriegen, aber Du fühlst Dich gut, denn es ist genau richtig geworden.
Wow, denkst Du so bei Dir, das ist richtig, richtig gut geworden. Vermutlich gehört es mit zum Besten, was Du bisher musikalisch von Dir gegeben hast. Du fühlst Dich gut.
Richtig gut.
Dieses Album, das bist Du. So bist Du. Es ist Ausdruck Deiner Selbst, und es ist richtig schön geworden.

Einige Wochen darauf kommt der Release-Tag. Du hast beschlossen, diesen mit einer Listening Party auf Bandcamp zu begehen – und tatsächlich nehmen immerhin 12 oder so Menschen teil und sind begeistert von Deiner neuen Musik. Sie kaufen das Album und lieben es. Du fühlst Dich gut.
Zwei Tage später kauft niemand mehr Dein Album. Den meisten Deiner 500 Follower ist es egal, dass Du ein neues Album draussen hast, Deinen Freunden auch. Dein Social-Media Post diesbezüglich geht in einer Flut von Katzenfotos, schlimmen Nazi-Neuigkeiten und anderen gerade aktuellen Empörungen unter. Du fühlst Dich schlecht.
Du lässt die Tatsache, dass Du ein neues Album draussen hast, in Gespräche mit Deinen Kollegen einfließen. Sie ignorieren diese Seite von Dir, wie immer. Es tut weh. Du bist traurig.
Du postest es in Deinen Whatsapp-Status, weil Du weisst, dass viele von Deinen Bekannten mitlesen. Niemand davon reagiert. Es tut weh. Du bist traurig.
Nochmal ein paar Tage später wagst Du, noch mal nachzuschauen, ob sich irgendwas getan hat. Na ja, immerhin eine weitere Person hat Dein Album gekauft. Aber Reviews bekommst Du weiterhin keine, Feedback gibt es auch nicht mehr. Du fühlst Dich schlecht.

Du scrollst ziellos durch Deine Timeline, stolperst dabei über das Posting einer Person, die ebenfalls eine neue EP rausgebracht hat. Ihre EP hat über 120 Supporter auf Bandcamp, es stehen vier Reviews darunter in denen sie von ihren begeisterten Fans in den allerhöchsten Tönen gelobt wird, und Du weisst genau, dass Du es nicht machen solltest, aber Du hörst ihre Musik an, und sie ist weder besonders kreativ noch besonders gut produziert. Du kannst bei aller Liebe und Bescheidenheit nicht erkennen, was an dieser Musik besser sein soll als an Deiner. Du fühlst Dich gleich doppelt hundsmiserabel. Erstens, weil Du diese Gedanken überhaupt hast, und zweitens, weil es die Wahrheit ist.
Aus einer Laune heraus postest Du am nächsten Tag ein Foto von Deinem Hund. Innerhalb von einer Stunde wird das Foto über 50 mal geteilt und favorisiert. Dein Album steckt fest bei 12 Shares und 6 Likes. Du fühlst Dich elend. Du fragst Dich, wofür Du Dir die Mühe überhaupt gemacht hast.
Aber Dein Hund kann nichts dafür. Sie ist eine ganz Schöne, sie ist jetzt schon so viele Jahre von Deinem Leben. Es ist Dir in all den Jahren nicht aufgefallen, weil Du immer dabei warst, aber sie ist alt geworden, genau wie Du. Genauer gesagt hat sie Dich mit ihrem Hundealter schon längst überholt, langsam, unmerklich, die letzten Jahre über.
Man kann es nicht aufhalten.
Du kuschelst sie ganz lieb, und Du bist traurig.

Weitere Tage vergehen, das Jahr geht vorüber, inzwischen ist es 2025. Nochmal zwei Menschen haben das Album gekauft, immerhin. Du scrollst weiter. Überall sind Musiker, die verzweifelt und vehement um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen und mal mehr oder mal weniger Erfolg damit haben; einige werden gefeiert und interviewt, die anderen werden ignoriert; die Musik ist in den meisten Fällen nicht ausschlaggebend dafür.
Du hast darauf keinen Bock, es widert Dich an. Es hat sich so gut angefühlt, diese Musik zu machen, es war so ein starkes Gefühl – kann die Musik denn nicht für sich selbst sprechen? Ist es unbedingt nötig, einen bescheuerten Manipulationszirkus zu veranstalten, damit sie gehört wird? Du fühlst Dich beschissen. Du hast – nicht zum ersten Mal in Deinem Leben – nicht übel Lust, alles hinzuschmeißen und nie wieder ein Instrument anzurühren.
Aber Du weisst, so funktioniert es nicht. Du brauchst den Applaus nicht. Du brauchst das Lob nicht. Du brauchst die Anerkennung nicht. Du bekommst das, was Dir fehlt, alles bei den Tieren im Gnadenhof, an dem Du arbeitest. Zum Glück gibt es sie, und sie helfen Dir.
Wendy, Dein Pferd, steht dort.

Sie ist Deine.
Sie ist da und schaut Dich an.
Du bist unendlich dankbar, dass Du dieses Leben hast.
Die Tiere haben zwar keine Ahnung was mit Dir los ist, aber ein paar Stunden bei ihnen – loslassen, kümmern, und ihre Präsenz spüren, und es geht wieder.
Verdammt, denkst Du Dir, wie konnte ich mich nur wieder so weit treiben lassen. Aber es ist gut. Ich kriege es hin.
Einige Monate später.
Dein Album hat sich inzwischen glücklicherweise noch ein bisschen mehr verkauft, weil Du mit einem anderen Artikel ein gewisses Maß an Empörung unter Deinen Followern erzeugt hast – aber Dein Ursprungspost ist immer noch auf 7 Likes und 19 Boosts, und Reviews oder Empfehlungen oder gar Interviews gab’s nicht. Du hast für Dich beschlossen, dass Dein nächstes Album nicht mehr im Internet veröffentlicht werden wird.
Du musst Dich und das, was Dir wichtig ist, beschützen.
Du hast absolut keine Lust mehr, Deine Herzblutperlen vor die Säue zu werfen und KI-Bots kostenloses Trainingsmaterial zu liefern, es reicht jetzt.
Aber Du beschließt, wenigstens einen Blogpost darüber zu schreiben, wie es sich anfühlt. Du denkst Dir, irgendwie sollte die Welt das einfach mal wissen.
Du weisst, es wird ihn kaum jemand lesen. Und von den wenigen, die ihn trotzdem lesen, werden Dich vielleicht eine oder zwei belehren, dass Kunst sich ja wohl selbst genug sein müsste, dass Anerkennung doch gar nicht wichtig sei und/oder dass ihre eigene Musik noch weniger gehört werde.
Das mag ja alles vielleicht stimmen.
Aber es ändert nichts daran, dass es weh tut.
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