Die Weisheiten des Mr. Big, oder: Wie wir einmal beinahe bei Sony Music unterschrieben hätten (Teil 3)

(was bisher geschah: Teil 1, Teil 2)

„Weisst Du, was das ist? Das ist der Durchbruch!“ sagte meine Arbeitskollegin Monika aufgeragt und nickte dabei eifrig mit dem Kopf. „Doch, doch. Ich spüre das. Der Durchbruch!“

Es war das Ende eines langen Arbeitstages, und wir beide saßen im Irish Pub unweit des einstmals angesehenen Bonner Software-Entwicklungshauses für Foto-Business-Lösungen, bei dem ich damals angestellt war. Insider wussten, dass der Irish Pub so etwas wie der verlängerte Arm des Unternehmens war; man konnte abends eigentlich immer einen Teil der Belegschaft hier treffen, und nicht wenige Features unserer Software machten ihren Anfang nicht etwa auf Whiteboards und in Meetings, sondern als Kritzeleien auf Bierdeckeln.

Doch darum sollte es heute abend nicht gehen, heute abend ging es nur um meine Musik, und Monika war ganz aus dem Häuschen. Ich hatte ihr in der Mittagspause davon erzählt, dass uns Mr. Big einen Vertrag bei einem Label von Sony Music angeboten hatte, und seitdem war sie kaum zu stoppen.

Sie nippte an ihrem Kölsch und war sofort wieder am Start: „Hihi, stell Dir vor, in ein paar Jahren wirst Du vermutlich drüber lachen, dass Du mal hier von 9 bis 5 malochen und von Thorstiborsti“ (ein nicht so liebevoll gemeinter Kosenamen für einen unserer Projektmanager, der viel zu schnell an viel zu viel Macht gekommen war, und den eigentlich niemand leiden konnte) „und seinen Freunden sinnlose Anweisungen befolgen musstest.“

Ich versuchte, etwas einzuwenden, nämlich dass selbst wenn wir bei einem „richtigen“ Label wären, der wirtschaftliche Erfolg noch lange nicht gewährleistet wäre, doch Monika blubberte munter weiter.

„Aber das war klar. Bei der Musik, die ihr macht… auf so einem Level, es war klar, dass das irgendwann passiert…“

Jetzt musste ich tatsächlich lachen. Bis vor wenigen Monaten hatte Monika zu der großen Gruppe von Menschen gehört, die bei der Erwähnung meiner Musik entweder interessiert in die Luft schauen oder spontan das Thema wechseln. Erst als sie von Laura auf unsere Fanpages auf Facebook und myspace aufmerksam gemacht worden war, und dabei feststellte, dass wir ja richtige Videos hatten, dass andere Menschen tatsächlich begeistert von uns waren, und dass man unsere Tracks problemlos mit Shazam und auf iTunes fand („das ist ja wie bei richtiger Musik!“), setzte ein gewisser Umdenkprozess ein. Und nun, wo die Möglichkeit im Raum stand, dass auf unserer nächsten CD irgendwo am Rand der Schriftzug „Sony Music Entertainment GmbH“ prangen würde, waren sämtliche Dämme gebrochen.

„Warum lachst Du?“ wollte Monika wissen.

„Ich…“ begann ich und legte mir eilig eine Erklärung zurecht. Ich wollte sie nicht beleidigen oder angreifen. So war sie nun mal, es ging ihr nicht um unsere Musik, es ging ihr um Image und Erfolg. Ich mochte es trotzdem, hier mit ihr zu sitzen und ein bisschen bewundert zu werden. Blöd von mir, vielleicht, aber menschlich.

„Ich lache nur, weil ich’s noch nicht so richtig glauben kann. Ich hab mein Leben lang versucht, meine Mitmenschen irgendwie dazu zu bringen, meine Musik anzuhören. Ich verstehe nicht, warum es jetzt plötzlich klappen soll.“

„Du machst Dir zu viele Gedanken. Genieß‘ es doch einfach!“ entgegnete Monika und erhob ihr Glas, um mit mir anzustoßen.

Jakobshof

Die Tage zogen ins Land, und schließlich rückte die Woche näher, in der sowohl das (von uns organisierte) Konzert im Aachener Jakobshof als auch das (von Mr. Big organisierte) Konzert im Kölner MTC als Vorgruppe einer Metal/NDH-Band stattfinden sollte.

An einem schönen Freitag Abend fanden sich dann schließlich ungefähr 70 Menschen im Jakobshof ein (der damit proppenvoll war), um unserer Musik zu lauschen. Mit dabei waren als Vorband „Fronthaus“, mit denen wir uns mit der Zeit dicke angefreundet hatten (Marius und Felix sollten schließlich später nach dem Ende von „Fronthaus“ als Gitarrist und Bassist bei uns einsteigen), und Monika, die sich freiwillig gemeldet hatte, unseren Merch-Stand zu betreuen und T-Shirts, Sticker und CDs unter die Menge zu bringen.

Das Konzert war ein voller Erfolg, wir spielten wie aus einem Guss und immer energiegeladener, und selbst die Streitigkeiten zwischen Laura und unserem damaligen Gitarristen, waren auf ein Minimum reduziert.

Eben jener Gitarrist hatte während eines unserer neuen Tracks („Substitute“) ein ausuferndes Solo, währenddessen Laura nur schmückendes Beiwerk war und über die Bühne tanzte. Schließlich tanzte sie zu mir rüber und rief mir ins Ohr, „hast Du gesehen, wer da ist? In der ersten Reihe?“

Und richtig, da stand mittendrin regungslos ein grinsender Mr. Big, komplett mit Sonnenbrille und verschränkten Armen, die anderen Konzertbesucher wie ein Turm überragte.

Das Konzert war wirklich großartig gewesen, und nachdem wir die letzte Zugabe gespielt hatten, begaben wir uns hochzufrieden und voll auf Glückshormonen in den Backstage-Bereich, um zusammen mit unseren Freunden von „Fronthaus“ ein wenig zu feiern. Schließlich kam auch Mr. Big dazu. Er lief an unserer Vorband vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen, bediente sich ganz selbstverständlich am Kühlschrank mit einem (von unserer Vorband eingekauften) Bier und kam dann schließlich zu uns.

„Na, was meinst Du?“ fragte Laura freudig.

„Die Musik? Geil. Ich mag die neuen Tracks!“

„Aber?“ hakte Laura nach, die ein Problem gewittert hatte.

„Die Location hier. Ein mieses Loch. Und das Publikum war scheiße.“

Wir waren ein bisschen verwirrt. Unserem Empfinden nach hatten wir den Jakobshof tüchtig gerockt, es wurde getanzt, und geklatscht und uns nach dem Ende zurück auf die Bühne gerufen.

„Naja, übermorgen im MTC wird das besser“, schob Mr. Big schnell aufmunternd hinterher. „Das ist ein richtiger Club, da kommen dann auch richtige Club-Leute. Und ihr werdet sehen, das Publikum von denen, das ist genau das was ihr braucht. Macht da mal richtig Wumms und im Nu habt ihr hundert Fans mehr! Ach, und übrigens: Ich hab eure Verträge dabei, einmal den Management-Vertrag und einmal den Plattenvertrag. Schaut sie euch mal an wenn ihr Zeit habt“

Und mit diesen Worten warf er eine Mappe vor uns auf den Tisch.

„Wow!“, entfuhr es Laura.

Mr. Big grinste. „Aber jetzt feiert erst mal, ihr habt es verdient. Bis Sonntag dann!“

Und damit verschwand er wieder im Getümmel und ward an diesem Abend nicht mehr gesehen.

„Was war das denn für ein Arschloch?“ fragte Marius, der Gitarrist von „Fronthaus“.

„Das war Mr. Big, vermutlich unser zukünftiger Manager…“, antwortete ich, irgendetwas zwischen amüsiert und verwirrt.

„Wohl eher Mr. Dick. So ein Idiot. Bisschen Höflichkeit hat noch niemand geschadet“, gab Marius zu bedenken. Und irgendwo hatte er natürlich recht. Aber wenn der Idiot uns zu Ruhm und Erfolg führen würde… durfte er dann nicht ein bisschen unhöflich sein?

Der Vertrag

Später am Abend, nachdem wir das Equipment verstaut und abtransportiert hatten, erforschten Laura und ich die Verträge, und obwohl wir beide noch immer vom wirklich grandiosen Konzert voll geflasht waren, fielen uns ein paar Dinge darin auf, die uns erst Fragezeichen auf unsere Gesichter zauberten und schließlich jegliche Euphorie verfliegen ließen.

Der Management-Vertrag enthielt eine Klausel, die besagte, dass Mr. Big als Entlohnung für seine Tätigkeit 60% unserer Einnahmen bekommen würde. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Erfahrung mit Management-Verträgen gehabt, aber das Ganze kam uns ein bisschen happig vor.

Noch happiger wurde es dann beim Plattenvertrag an sich. Dieser sah vor, dass wir unser nächstes Album mit Mr. Big als Produzenten aufnehmen würden, und dass wir von der produzierten Erstauflage zweitausend Stück Tonträger zum vergünstigten Einkaufspreis selbst erwerben würden.

Wir hatten keine Ahnung, ob die Sache mit den Tonträgern normal war, aber es war ziemlich sicher, dass wir das vermutlich nicht stemmen können würden. Das Gehalt, das ich damals beim ehemals hoch angesehenen Bonner Software-Entwicklungshaus bezog, war vollkommen lächerlich (nur so viel: ich verdiene heute in 24h Teilzeit wesentlich mehr als damals auf einer vollen 40h Stelle mit jeder Menge Überstunden und Wochenendarbeit), und bei Laura sah es nicht viel besser aus.

Und die Sache mit der Produzententätigkeit war auch sonderbar. „Grounded“, „Postcard“ und die neuen Songs hatte allesamt ich produziert, und ich hatte nicht vor, dieses Ruder aus der Hand zu geben.

Wir beschlossen, erstmal darüber zu schlafen und das Ganze nach dem MTC-Gig dann mal in Ruhe und überlegt anzugehen.

MTC

Als wir abends beim MTC eintrafen, war der Haupt-Act schon mitten im Soundcheck. Die vier Musiker (klassisches Rock-Outfit Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug) waren allesamt älter und wesentlich erfahrener als wir, aber sehr freundlich und entgegenkommend. Wir stellten uns vor, luden unsere Sachen ab, und lauschten den Dingen, die da so geschahen.

Irgendwann wechselte Biggi, die stimmgewaltige Sängerin, von ihrer Straßenkleidung in ihr Bühnen-Outfit – die obligatorische Lederjacke und zerrissene Jeans. Die Verwandlung war bemerkenswert; erst musste ich grinsen, aber dann fiel mir schnell auf, dass wir auf unsere Art und Weise kein Stück anders waren – und wie blauäugig wir in das Leben als Live-Musiker gestartet waren. Die ersten Gigs hatten wir in Hoodies, T-Shirts und Jeans absolviert; so, wie wir halt immer aussahen. Erst mit der Zeit waren wir (oder besser gesagt: war Laura) darauf gekommen, uns ein gewisses leicht feenhaftes Image zuzulegen; der GItarrist und ich mit weißem Hemd und Schmetterling am Kragen, Laura in langen, semi-durchsichtigen Gaze-Kleidchen.

Als die Band mal testweise ein Stück anspielte, wurde uns klar, wie sehr fehl am Platz wir waren. Die spielten ganz einfach Metal. Laut und dreckig. Etwas Vergleichbares hatten wir nur in einem einzigen Lied („Nineteen Years Later“) anzubieten, und da auch nur im Mittelteil. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals: Wenn ich als deren Fan auf ein Konzert gehen und dann uns als Vorband hören würde, dann wäre ich gehörig angenervt.

Laura und unser Gitarrist dachten wohl in ähnliche Richtungen, bei beiden wanderten die Augenbrauen immer höher.

„Tja, ich denke, da werden wir wohl etwas lauter und härter spielen müssen“, stellte Laura dann schließlich fest. Mein vermutlich etwas zu lautes Lachen verriet wohl meine Panik, denn unser Gitarrist fühlte sich angespornt, mich mit einem „Das wird schon, wir müssen nur vier Lieder spielen, dann haben wir’s hinter uns“ überhaupt nicht zu beruhigen.

Doch als der Abend später wurde, wir unseren Soundcheck hinter uns brachten, und der Club sich allmählich zu füllen hätte beginnen sollen, da geschah etwas sehr Unerwartetes: Er füllte sich mitnichten.

Abwechselnd lugte jemand von uns und jemand vom Hauptact aus dem Backstage-Bereich, um zu berichten. Und der Bericht lautete immer: „Nee, immer noch niemand da.“

Zum Schluss, fünf Minuten vor Konzertbeginn, waren vier zahlende Gäste da.

„Na toll, was für ein Scheiß“, stellte Biggi fest.

„War ja klar, dass der Typ es vergeigt“, sagte ihr Bassist.

„Ja, der sah mir gleich aus wie ne Null“, pflichtete der Gitarrist bei.

„Äh, Moment, redet ihr von Mr. Big?“ fragte ich.

Biggi rollte mit den Augen. „Jaha, genau der. Völliger Vollpfosten. So Leute kennen wir zur Genüge. Alles nur Gerede und nichts dahinter.“

Ich war etwas verwirrt. „Ich dachte, er sei euer Manager…“ fing ich an.

Da lachten die vier laut los. „Der Typ? Unser Manager? Oh Gott,“ prustete der Gitarrist.

Biggi grinste mich mitleidig an. „Nee, wir kennen den nur über ein paar Ecken, und er hat uns erzählt er sei in Köln ne große Nummer, und hat angeboten, uns diesen Gig hier zu organisieren…“

Ich nickte. So war das also.

„Hm, und was machen wir jetzt?“ fragte ich in die Runde.

Biggi schaute mich mit großen Augen an. „Was meinst Du, was machen wir jetzt?“

„Na ja… für vier Leute spielen… ist das nicht ein bisschen komisch?“ fragte ich, unbedarft und unbeholfen wie ich war. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich es bis dahin zwar sehr wohl erlebt hatte, dass keine Sau meine Tonträger hören möchte, aber noch nie in der Situation gewesen war, dass niemand zu meinen Konzerten auftauchte. Immerhin, der Schmerz war durchaus vergleichbar.

Biggi schüttelte den Kopf. „Pass mal auf“, sagte sie, nicht wirklich freundlich, nahm ihre Flasche Jack Daniels, drückte sie mir in die Hand und legte ihren Arm um meine Schulter. Ihre Stimme war ganz leise geworden, beinahe wie ein Flüstern: „Du nimmst jetzt einen ordentlichen Schluck aus dieser Flasche,“ – (ihre Stimme wurde mit einem Mal wesentlich lauter!) – „und dann lasst ihr da draußen den verdammten Putz von den Wänden bröckeln. Hier passen 300 Leute rein, von denen sind vier gekommen. Macht 296 arme Deppen die nicht wissen was sie verpassen, und vier, die es wirklich, WIRKLICH verdient haben, von uns das beste Konzert überhaupt zu kriegen. Noch irgendwelche Fragen?“

Ich nahm einen Schluck aus der Flasche und gab sie an Laura weiter. „Keine Fragen, Biggi. Genau so machen wir’s“. „Yeah!“ sagte Laura, und ließ die Flasche zu unserem Gitarristen weiter kreisen. „Aber sowas von!“ bekräftigte dieser.

Wir spielten unser bis dahin bestes Konzert. Wir gaben alles, und weil eh nur 4 Menschen zuschauten, erlaubten wir uns dabei das eine oder andere ausufernde Experiment… und hatten so viel Spaß an der Sache, wie Laura und ich als Freunde schon lang nicht mehr gehabt hatten. Waren die Konzerte bis dahin immer von einer gewissen Anspannung durchzogen gewesen, so war es dieses Mal richtig befreiend locker (es half auch, dass der Sound im MTC wirklich allererste Sahne war). Außerdem spielten wir die Sachen so ultra-hart wie wir nur konnten, und das war mal was ganz Anderes für uns. Und selbst das (zum Schluss auf glorreiche 8 Menschen angewachsene) Publikum war begeistert. Es wurde getanzt und gesprungen und gehüpft, und Laura fand bei „Moron Island“ sogar einen Freiwilligen, der ihren live auf der Bühne zubereiteten „Gifttrank“ schluckte

Obwohl es ein totaler Reinfall gewesen war, konnten wir zum Schluss gar nicht wirklich traurig darüber sein. Wir hatten ein tolles Erlebnis gehabt, soviel stand fest.

Und trotzdem stellte sich die Frage, was zum Teufel eigentlich los war.

Hätte dieses Konzert nicht so richtig groß und gut besucht sein sollen und uns hunderte an neuen Fans bescheren? Und wo war eigentlich der Mann geblieben, der uns das Blaue vom Himmel runter versprochen hatte? Und vor allen Dingen, was sagte dieses Debakel über seine sonstigen Fähigkeiten im Band-Management aus?

Die Recherche

Am nächsten Tag war ich wieder am Malochen im ehemals hoch angesehenen Bonner Softwarehaus. Laura jedoch hatte frei, und sie nutzte diesen Umstand unter anderem dazu, bei Mr. Big anzurufen und ihn damit zu konfrontieren, dass der Vertrag eine Menge Klauseln enthielt, die uns mehr als spanisch vorkamen, und dass wir gestern in einem leeren Club ein Konzert für acht zahlende Gäste gespielt hatten.

Am Abend berichtete sie mir dann, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Was er ihr gesagt hatte, schien sie schon mal einigermaßen beruhigt zu haben, denn sie war zuversichtlich und gut aufgelegt.

„Also das mit dem MTC“, fing sie an, „das tut ihm leid. Er meinte das sei sein Fehler gewesen, da nicht genug Plakate zu kleben und Promotion in Zeitschriften zu machen; er war so beschäftigt mit seiner eigenen Platte gewesen, dass er sich nicht richtig darum gekümmert hat. Aber er hat sich entschuldigt, und er sagt, beim nächsten Mal wird alles besser.“

„Und das mit den 60 Prozent? Und den Alben, die wir selbst kaufen müssen?“

Laura zuckte mit den Schultern. „So wie er’s mir erklärt hat… er meint, das sei normal, das machen alle so, und weil wir ja praktisch unbekannt sind gehen er und die Plattenfirma ein großes Risiko ein, und deshalb wollen sie sich deutlicher absichern.

Er meinte, selbst der Bohlen kauft seine eigene Scheiße. So kommt das Zeug in die Hitparaden…“

Wir diskutierten ein bisschen hin und her, und schließlich kristallisierte sich heraus, dass Laura tatsächlich erleichtert war und ihm glaubte, während ich skeptisch blieb und mich allmählich etwas überrumpelt fühlte.

Dabei war ich selbst schuld. Die meiste Zeit hatte ich es als eine große Erleichterung empfunden, mich hinter Laura zu verstecken und Verhandlungen mit Promotion-Leuten, Venue-Betreibern, Radio-Fritzen und sonstigen Gestalten ihr zu überlassen.

Doch nun wünschte ich mir, ich hätte mich mehr eingebracht. Zumal sich am Ende des Tages herauskristallisierte, dass Laura wollte, dass wir den Vertrag unterschreiben, denn eine solche Gelegenheit würde nie wieder kommen.

Ich erbat mir ein paar Tage Bedenkzeit. Erfahrungen aus der Vergangenheit hatten mir gezeigt, dass es gewichtige Argumente brauchte, wenn man Laura von etwas überzeugen wollte.

Glücklicherweise hatte ich selbst damals einige Kontakte ins Musikbusiness geknüpft. Ich hatte mit „Musetta“, einer italienischen Triphop-Combo, als Gastmusiker an ihrem Album „Mice To Meet You“ gearbeitet. Ausserdem kannte ich in Köln einen Tontechniker, der beim Radio arbeitete und auch Veranstaltungen organisierte; und natürlich war da noch Jeff Roberts, ein ehemaliger professioneller Studiomusiker, den ich übers Internet kennengelernt hatte (damals war so etwas noch möglich), und der schließlich auf „Grounded“ unter anderem Gitarren und Bass beigesteuert hatte. Und Frau K. kannte von ihrer Karriere als Bloggerin noch einen Möchtegern-A-Blogger, der in einer Rap-Band war, 800 Euro für die Erwähnung meiner Band in einem Blogpost haben wollte (was selbstverständlich nie geschah) und gerade versuchte, aus seinem Vertrag mit Sony Music herauszukommen. Eine ganze Menge Leute also, die uns Argumente für oder gegen eine Unterschrift liefern konnten.

All diese Menschen schrieb ich (und in einem Fall Frau K.) an diesem Abend noch an. Ich erzählte ihnen von dem Vertrag, den wir angeboten bekommen hatten, von den meiner Meinung nach seltsamen Klauseln, mit der freundlichen Bitte, mir kurz (oder auch gern lang) zu schreiben, was ihre Erfahrungen wären. Ob 60% für den Manager wirklich normal seien, und ob es wirklich normal wäre, ein Teil der eigenen Auflage selbst zu erwerben.

(hier ein kleiner Einwurf für die ‚digital natives‘, die der Meinung sind, sowas kann man einfach googeln. Ja, kann man heute vielleicht. Aber 2009 waren solche Informationen im Netz noch lange nicht allgegenwärtig)

Netterweise antworteten sie alle, und das Ergebnis war bemerkenswert: Ja, das mit dem Erwerb der eigenen Auflage, das wäre durchaus eine der üblichen Möglichkeiten – aber keinesfalls müsste es so laufen. Wo sie sich alle einig waren: 60% ist eine Unverschämtheit, und wir sollten auf keinen Fall einwilligen. 12-15% wäre der normale Satz, alles darüber sei garantierter und totaler Humbug.

Rückzug

Ich sammelte die Antworten in einem Dokument zusammen und schickte das Ganze per Mail an Laura.

Ihre reichlich desillusionierte Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Wir trafen uns noch am selben Abend, gingen zusammen etwas trinken und beschlossen einvernehmlich, die Verträge nicht zu unterschreiben.

„Schade, es war wohl einfach mal wieder zu schön um wahr zu sein“, stellte Laura fest.

„Ja…“ fiel mir nur als Antwort ein.

„Aber weißt Du“, sagte Laura plötzlich, „vielleicht können wir ja noch mal mit ihm reden, und an den Konditionen schrauben…“

Ich schüttelte mit dem Kopf. „Wenn er von 60% auf 12% runter geht, dann ist er noch viel mehr fishy als er eh schon fishy ist… wir lassen es, es hat keinen Sinn“, entgegnete ich.

Laura nickte. „Ja… das ist wohl so… weißt Du was, wir rufen ihn gleich an und sagen es ihm, ich möchte die Sache vom Tisch haben.“

„Ok“, antwortete ich.

Die Absage war schnell und schmerzfrei. Laura rief an, sagte, wir hätten uns das Ganze überlegt und wollen lieber nicht unterschreiben, und er nahm es ganz gelassen hin. Zum Schluss fragte er, ob wir dann wenigstens Lust hätten, einen Remix von der Single seines neuen Albums zu machen, und weil wir nun mal nicht aus unserer Haut konnten, willigten wir ein.

Tja, und da saßen wir nun. Hatten wir soeben unsere gerade noch so hoffnungsvoll erscheinende Karriere als recording artists aufs Abstellgleis verschoben? Wir wussten es nicht. Aber wir waren fest entschlossen, weiter zu machen. Die Konzerte waren besser und besser geworden, wir hatten schon massenweise richtig gutes Material für unser nächstes Album gesammelt… wir würden auch ohne Mr. Big wachsen, so viel war uns klar.

Keep Breathing

Monika indes hatte eine vollkommen andere Meinung zu der ganzen Geschichte. Ihre Enttäuschung war ihr deutlich anzumerken, als ich ihr beim nächsten gemeinsamen Feierabend-Guinness davon erzählte.

„Was, ihr habt nicht unterschrieben? Ja seid ihr denn blöd?“ platzte sie heraus.

„Wie gesagt…“, versuchte ich ihr begreiflich zu machen, „all meine Profi-Musikerkollegen sagen, 60% geht gar nicht, und Hände weg…“

„Ja, aber das ist doch egal, wenn er euch in ein Label bringt! Was verdienst Du jetzt mit Deiner Musik? Wie viel kommt unterm Strich raus, wenn ihr wie im Jakobshof für 70 Leute spielt?“

„Na ja, so unterm Strich 300 Euro oder so“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Aber wenn der Vertrag jetzt dafür sorgt, dass Du vor 700 Leuten spielst, dann ist das doch was ganz anderes. Und wenn ihr ihm dann 60% abgebt, dann hast Du immer noch mehr als Du allein jemals hinkriegen würdest“, argumentierte Monika, sichtlich enttäuscht und verständnislos.

Wenn ich vor 700 Leuten spiele, ja. Beim letzten Konzert, das er organisiert hat, waren aber nur acht da“, entgegnete ich.

„Ja und wenn“, sagte Monika, „dann sag ich nur: Sony Music! Wie kann man das einfach aufgeben?“

Ich schüttelte den Kopf. „Sony Music heißt doch für sich noch gar nichts. Es müssen doch erstmal Leute da sein, die das Album dann auch kaufen.“

„Ja, und die werden sich garantiert nicht finden ohne Label“, sagte Monika trotzig.

„Ich weiß nicht, ich hab da eigentlich ein ganz gutes Gefühl. In drei Wochen, im Blue Shell, unser Abschlußkonzert für diesen Herbst… da haben jetzt schon echt viele Leute zugesagt, und wir haben Plakate und alles; und Fronthaus rühren auch schon kräftig die Werbetrommel, alle Lokalzeitungen haben was gebarcht…“

„Ich find’s ja nur schade, wer weiss, wann sich so eine Chance wieder bietet“, sagte Monika, in minimal versöhnlichem Tonfall.

„Ich glaube, wir machen einfach weiter, treten weiter auf, wir schauen, dass wir dieses Album fertig kriegen… und dann mal schauen, das Schicksal macht eh, was es will“, sagte ich.

„Oh, da fällt mir ein“, warf Monika plötzlich ein, „das Konzert in drei Wochen… ich kann da den Merch-Stand nicht übernehmen“.

„Oh“, sagte ich, „schade…“

„Ja… es hat sich kurzfristig ergeben, dass sich ein paar Leute vom Mark-Owen-Fanclub da treffen wollen, und da muss ich natürlich dabei sein.“

Hm klar, dachte ich mir, wenn ich die Wahl habe zwischen dem groß angelegten Tour-Abschluss-Konzert einer befreundeten Band, die richtige Musik macht, und irgendwo ein paar Leute treffen die vor zwanzig Jahren als Teenie unsterblich verliebt in einen Typ in einer im Reagenzglas gezüchteten Band waren, dann ist mir auch ganz klar, wofür ich mich entscheide.

Vermutlich war das aus meinen Gesichtszügen abzulesen, denn Monika schob noch ganz schnell hinterher: „Sei mir nicht böse, es ist nur das eine Mal, und ich hab euch auch weiterhin lieb!“

Aber natürlich war das nicht wahr.

Unser Konzert im Blue Shell wurde der krönende Abschluss unserer Live-Karriere. Über 300 zahlende Gäste kamen, tanzten, sangen unsere Lieder mit, kauften unsere CDs und unseren diversen Merch… und ich muss zugeben, es war ein berauschendes Erlebnis. Eines, das ich in dieser Form nie wieder hatte, und das mir ewig in Erinnerung bleiben wird.

Monika bekam von alledem nichts mit. Sie hörte sich unsere neuen Demos nicht mehr an, und die Tatsache, dass sich Laura und ich im Jahr darauf trennten, entlockte ihr noch nicht mal ein Schulterzucken.

Wir blieben weiterhin so was Ähnliches wie befreundet, aber soweit es Monika betraf, hatten es wir mit unserer Weigerung, Mr. Bigs Vertrag zu unterschreiben, unmöglich gemacht, dass jemals etwas aus uns werden würde – und waren somit fortan ihrer Bewunderung nicht mehr würdig.

Teaser zu „Stupid Summer Dreams“, und wahrhaft prophetisch.

Epilog

Am Ende des Tages war Monika eine ganz gute Vorbereitung darauf, was schließlich mit dem Großteil unserer Fans passieren sollte: Von den immerhin rund 750 Personen, die „Grounded“ käuflich erworben hatten, blieben uns bei unserem letzten – und besten – Album nur 27 (in Worten: Siebenundzwanzig).

War Botany Bay 2009 noch eine Band gewesen, die der „Stern“ zumindest mal in einem Nebensatz erwähnte und die gerne auf Podiumsdiskussionen über freie Musik eingeladen wurde, hat Anfang 2023 kaum noch wer eine Ahnung, wer wir waren oder was wir gemacht haben.

Ich habe viel darüber nachgedacht was schief gelaufen ist, dass es auf diese Art und Weise enden musste. Und natürlich gibt es darauf mehrere Antworten.

Einerseits entdeckten die sogenannten „sozialen“ Netzwerke um das Jahr 2012 herum, dass man mit Künstlern wie uns richtig gut Geld machen konnte, wenn man ihren Fans Neuigkeiten einfach vorenthält, und uns somit zwingt, für posts zu bezahlen.

Oder, wie The Oatmeal das sehr schön in einem Comic verdeutlicht hat:

Aber mindestens ebenso schwer wiegt die Tatsache, dass das Publikum Erfolg, Glanz, Leidenschaft und das Besondere liebt, nicht aber Probleme und Rückschläge. Wir waren toll und interessant, als wir noch tourten, ein Video nach dem anderen raushauten, uns mit der Aura des Geheimnisvollen umgaben, kostenlose Wahlwerbung für die Piraten machten – und als Laura und ich für unser zweites Album (was in dieser Form glücklicherweise nie heraus kam) für das Cover im Teilakt posierten. Als dann jedoch erst Laura ausstieg und durch Steffi ersetzt wurde, dann meine Firma pleite ging, dann erst mein Vater und drei Jahre später meine Mutter starb und wir infolgedessen Veröffentlichungen verschieben, Konzerte absagen und schlechte Nachrichten veröffentlichen mussten, war es mit dem Interesse ganz schnell vorbei.

Jeder mag Kreative, wenn sie erfolgreich sind, wenn man irgendwas auf sie projizieren kann, und wenn es hurtig voran geht. Wenn sie jedoch aussehen wie der fix und fertige Typ von nebenan, wenn sie kämpfen müssen und ein Bündel an Schwierigkeiten mit sich rumschleppen, dann wird es sehr schnell sehr einsam um sie.

Bin ich böse oder traurig deswegen? Ich gebe zu, lange Zeit war ich es, und ein Teil von mir ist es ganz klar immer noch. Erfolg fühlt sich gut an, insbesondere, wenn man als Kind lange Jahre allein auf dem Klavier vor sich hingeklimpert hat ohne dass es jemand interessierte. Und es war, – nein, ist – nicht einfach, das Erlebte irgendwie in mein Leben zu integrieren; damit klar zu kommen, dass es nun eben nicht mehr so ist.

Aber auf der anderen Seite ist auf Leute wie Monika eh doppelt und dreifach geschissen, und künstlerische Erfüllung kommt nicht von außen, sie kommt definitiv und mit großer Macht von innen – eine Tatsache, die ich nun bei meinem Wirken als „Schall und Stille“ dankenswerter Weise ganz deutlich fühlen kann.

Die Crux ist nur, dass zwei Dinge wahr sein können.

Wäre es anders geworden, hätten wir den Plattenvertrag unterschrieben?

Ich kann es ehrlich nicht sagen.

Vielleicht hätten wir all die Fans heute noch, vielleicht hätten wir sogar noch viel mehr. Vielleicht, und das ist tatsächlich wesentlich wahrscheinlicher, hätte aber auch alles in der vollendeten und ultimativen Katastrophe gemündet.

The End


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