Antique picture of a desert scene with three camels and a man sitting below them.

Fedivision 2024

Es ist kein Geheimnis, dass ich von Musik-Wettbewerben eher wenig halte, suggerieren sie doch, dass es sich bei künstlerischem Ausdruck um einen, nun ja, eben um einen Wettbewerb handelt. Und so sehe ich es einfach nicht. Meine Musik ist nicht da, um sich auf einem Schlachtfeld mit was oder wem auch immer zu messen.

Ich gebe zu, früher habe ich an solchen Sachen teilgenommen und mich richtig toll gefühlt, Platz 1 in den Free Music Charts zu sein. Heute weiß ich, dass das mit der Musik eher wenig zu tun hatte, sondern vielmehr mit Glück und zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute zu kennen. Sowas will ich nicht mehr, allein die Vorstellung find‘ ich bäh.

Trotzdem gibt es eine Veranstaltung, an der ich in den letzten zwei Jahren gerne teilgenommen habe. Die Rede ist vom „Fedivision Song Contest„, einer (nicht vollkommen ernst gemeinten) Alternative zum Eurovision Contest, die im Fediverse, sprich, auf Mastodon und Co. stattfindet.

Teilgenommen habe ich deshalb gerne, weil der Fedivision Contest mit einem Augenzwinkern abgehalten wird, weil sich das Trommeln und die Marktschreierei in Grenzen hält, weil die stilistische Bandbreite enorm ist, und weil man immer wieder den einen oder anderen Edelstein dabei entdeckt. Bei der letzten Fedivision zum Beispiel hat eine Musikerin mit einem a-capella-Stück teilgenommen, das mich so nachhaltig beeindruckt hat, dass ich sie angeschrieben habe, und daraus ist eine schöne und fruchtbare Zusammenarbeit erblüht, die auf meinem nächsten Album zu hören sein wird (wann auch immer das sein wird ;-))

Und – oh Wunder –, meine eigenen Beiträge erreichten in den letzten zwei Jahren jeweils den zweiten Platz. Was mich natürlich sehr freut, denn im Rest des Jahres gehen meine musikalischen Beiträge im Fediverse üblicherweise mit null bis zwei Sternchen unter – und es ist schön zu erfahren, dass doch so einige Leute meine Musik durchaus mögen würden, wenn sie sie denn mal hören würden.

Meine Einreichungen 2022 und 2023: „Rise“ und „Spirits“

Aber wenn man zwei Jahre hintereinander auf dem zweiten Platz landet, dann überlegt man natürlich schon, was man hätte tun müssen, um auf den ersten Platz zu kommen.

Betrachtet man die letzten zwei Jahre genauer, dann kommt man schnell auf den Trichter, dass wir (ich kooperierte 2022 mit Suse B. am Mikrofon, und 2023 mit Andrea Hartenfeller als Gastvokalistin und Mylofy als Gastgitarrist; unnötig zu sagen, dass alle drei ganz wundervolle und brilliante Leute sind!) jedes Mal vom prinzipiell gleichen Konstrukt geschlagen wurden: Dem nerdig-abgefahrenen novelty song.

Im Jahre 2022 war das eine (sehr gut gemachte!) Gipsy-Kings-Hymne über verteiltes soziales Netzwerken, und 2023 ein (sehr gut gemachter!) „C“-Shanty über Rekursion.

Wenn die Songs gut gemacht und zusätzlich mit ordentlich Nerdiness ausgestattet sind, so also meine Theorie, haben „traditionelle“ oder gar „ernsthafte“ Beiträge eher wenig Chancen.

Und das ist auch prima so! Das Fediverse ist bunt und abgefahren und nerdig, und das soll es bitte bitte auch bleiben – nicht zuletzt, weil es genau diese Tatsache ist, die dafür sorgt, dass die ganzen Influenzer und Content-Marketer draussen bleiben und es nicht genau so kaputt machen, wie sie den Rest vom Internet kaputt gemacht haben.

Trotzdem: Erster Platz wäre schon schön. Und so reifte in mir allmählich ein perfider Plan, wie ich das hinkriegen könnte: Ich mache einfach genau das, was ich eh schon kann (schöne Musik schreiben und vernünftig produzieren), aber dieses Mal gebe ich dem Ganzen noch einen nerdigen Anstrich und übertreibe alles total.

Ein Song über Kamele, und über die Tatsache, dass sie die besten Mathematiker auf der Welt sind, sollte es tun. Und zwar komplett mit Reggae-Part, quadratischen Gleichungen und einem von Sir David Attenborough gesprochenen Intro (was kein Problem ist, denn der Einsatz von „künstlicher Intelligenz“ ist laut den offiziellen Fediverse-Regeln für „artificial vocalists“ dieses Jahr zum ersten Mal erlaubt. Eine Entwicklung übrigens, die ich persönlich leicht daneben finde, aber was soll’s).

Ok. So weit der Plan. Durchaus realistisch, das bis Mai hinzukrigen.

Ich hatte schnell eine grundsätzliche Idee von Melodie, Refrain und Bridge, und es gab auch schon ein kleines Demo dazu. Und ich hatte auch schon angefangen, einen Text zu schreiben. Und dann saß ich plötzlich im Studio und sagte zu mir selbst: „Stephan, was zum Geier machst Du da eigentlich?“

Ich bin voll in die Falle getappt.

Einen Song so zu machen, damit er Nummer 1 wird, das bin nicht ich. Schon lange nicht mehr. Ich habe mehr Jahre hinter mir als vor mir, und musikalisch immer noch so viel auszudrücken, dass ich gar nicht sicher bin, ob die Zeit reichen wird. Ich habe auf Föhr dieses Jahr 16 Demos aufgenommen, aus denen die Fortsetzung zu „Biike“ werden könnte, und ich arbeite seit drei Jahren immer mal wieder an Stücken für ein Konzeptalbum über Begegnungen von Menschen und Tieren. Und von diesen beiden Sachen abgesehen habe ich Ideen für zwei weitere Projekte, die in ganz andere Richtungen gehen. Und sollte ich irgendwann mal wieder Musiker in meiner Nähe kennen lernen, mit denen es passt, würde ich auch furchtbar gerne mal wieder auf eine Bühne.

Warum sitze ich also hier und fange schon wieder an, mir eine Mordsmühe zu machen, nur damit mir ein paar Tage lang alle möglichen Leute sagen wie toll meine Musik ist, um sich dann den Rest des Jahres nicht mehr um mich zu scheren?

Eben. Glücklicherweise hab ich’s noch gemerkt.

Aber die Idee mit den Kamelen (die natürlich von Terry Pratchett ist, was die Sache noch viel nerdiger macht!) finde ich trotzdem ganz exzellent, und ich glaube, sie könnte locker Nummer 1 bei der Fedivision werden, wenn sie gut ausgeführt wird. Ich stelle sie daher gerne zur freien Verfügung. Würde mich freuen, wenn jemand was daraus macht, ganz ehrlich!

Ich selbst werde mit einem der Songs aus einem der beiden Projekte teilnehmen, an denen ich gerade arbeite – wenn die Zeit es zulässt. Beide Kandidaten haben keine Kamele… aber dabei sein ist alles!


Kommentare

2 Antworten zu „Fedivision 2024“

  1. Avatar von Andrea
    Andrea

    Ein sehr guter Beitrag, lieber Stephan, der mir in vielen Punkten aus der Seele spricht!
    Wobei ich durchaus nix gegen einen Kamel-Song hätte… ich hab neulich erst ein Lied geschrieben, in dem ein Kakadu, ein Känguru und natürlich eine Kuh vorkommen. 😉
    Ich bin gespannt auf die diesjährigen Fedivision-Songs und freue mich auf all das, was wir sonst zusammen machen.

    1. Avatar von Stephan
      Stephan

      Kakadu, Känguru *UND* Kuh?! Sounds intriguing!!
      Ich bin auch gespannt, und ich freu mich auch sehr auf zukünftige Collaborations (was ein schlimmes deutsch-englisch bei mir ;-))

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