The Gottstreu Sessions

(oder: Offenbarungen, Teil 2: Weniger ist mehr ;-))

Unseren letztjährigen Herbst-/Winterurlaub verbrachten wir, wie es bei uns in den letzten Jahren zur Tradition geworden ist, im schönen Hundehaus am Reinhardswald – ein kleines, kuscheliges Holzhaus im Weserbergland, weit weg vom Alltag und (was für die Erholung immer von großem Vorteil war) mit bis vor kurzem nicht wirklich vorhandenem Internetzugang.

Ein erster kleiner aber nicht vollkommen ernst gemeinter Versuch, dort auch mal Musik zu machen, war vor zwei Jahren recht vielversprechend verlaufen. Und nun, da ich wieder unter die aktiven recording artists gegangen bin, wollte ich es etwas genauer wissen.

Es wäre ein Leichtes gewesen, auf diese Reise Equipment mitzunehmen, mit dem man ohne Probleme anspruchsvolle Arrangements aufnehmen und bearbeiten konnte. Doch der Sinn stand mir nach etwas anderem.

Meet Ammonia

Probleme mit meinem rechten Innenmeniskus hatten es im letzten Jahr zeitweise sehr schwer gemacht, mein Studio zu betreten. Da sich mein Linux-Notebook praktischer Weise schon im Krankenlager (vulgo: Schlafzimmer) befand und ich eh nichts besseres zu tun hatte, stellte ich mir damals selbst die Herausforderung, mich in Musikproduktion unter Linux fortzubilden und ein paar Tracks mit Ammonia, einem wirklich hoffnungslos veralteten Dell-Notebook aufzunehmen (benannt nach einem Album vom Alan Parsons Project, das gerade lief, als ich das Notebook zum ersten Mal einrichtete).

„Ammonia“ und Buba, der beste Coproduzenten-Hund der Welt

Eine Herausforderung war es tatsächlich, denn bei Ammonia handelt es sich um ein Dell Vostro 3558 mit einer mit 1.9GHz getakteten Intel Pentium 3825U CPU, 4GB Arbeitsspeicher, und einer 256GB SSD (immerhin, die hatte ich damals selbst nachgerüstet, weil die Übertragungsgeschwindigkeit der Original-Festplatte Erinnerungen an die Commodore 1541 hatte wach werden lassen).

Ein in jeder Hinsicht untermotorisiertes und veraltetes Gerät. Trotzdem liebe ich es, und zwar, weil man eigentlich alles damit machen und dazu noch jede Menge Spaß damit haben kann – vorausgesetzt es läuft Linux darauf. Ich finde den Gedanken, auf so einem Gerät produktiv zu sein, zu surfen und zu daddeln, statt sich immer das Allerneueste und Allergeilste zu kaufen, einerseits ziemlich nachhaltig und andererseits schön subversiv.

Und nicht nur deshalb mag ich Ammonia. Ich mag es auch, weil ich den Akku mit einem Griff austauschen kann. Weil RAM, Tastatur und Festplatte nach dem Lösen von zwei Schrauben einfach so zugänglich sind. Weil die Laufzeit mit Akku locker 8 Stunden beträgt – alles Dinge, die man sich bei einem bekannten Computerhersteller mit Fruchtlogo mal schön abschminken kann (oder abschminken konnte. Ok, das mit der Laufzeit ist inzwischen besser geworden).

Ok. Ich hätte auch noch ein Macbook Pro. Und dieses Macbook Pro frisst Ammonia leistungsmäßig zum Frühstück und wischt dann noch das Badezimmer damit. Aber die Batterie ist Fritte, und wenn ich sie austauschen will, dann muss ich damit zum Service, damit der mir für viel Geld meine mit dem Gehäuse verklebte (!!) Batterie mit Spezialwerkzeug entfernt und durch eine neue ersetzt. Und wo er schon dabei ist, könnte er dann auch gleich noch die Tastatur austauschen, die zwar total stylish ist, bei der aber alle möglichen Tasten hängen und klemmen. Und den rechten Lautsprecher, der nur noch ein fieseliges Knistern von sich gibt – alles Verschleißteile, bei denen es Apple dem Benutzer mit voller Absicht so schwer wie nur irgend möglich gemacht hat, sie zu ersetzen. Dazu kommt, dass die Hälfte meiner in den letzten 10 Jahren für teures Geld erstandenen Plugins nach diversen macOS-Updates nicht mehr funktioniert, und dass 4 USB-C Schnittstellen als alleinige Verbindung zur Außenwelt zwar stylish sein mögen, in der Praxis aber vollkommen unpraktisch sind.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass ich – und das schreibe ich als einer der erfahrensten Senior iOS App Entwickler, die in Deutschland zu finden sind – Apple ganz grundsätzlich nicht mehr so dope finde. Aber das ist eine andere Geschichte für ein anderes Posting.

Wenn ich die beiden Computer vermenschlichen soll, dann ist mein Macbook Pro ein ziemlich schicker aber vollkommen unsympathischer Hipster, der alles besser weiß, mich bei jeder Gelegenheit bevormundet und mir den lieben langen Tag mit seinen Unzulänglichkeiten auf den Nerv geht (welche ich selbstverständlich alle kritiklos hinzunehmen habe, because: fuck you, that’s why)… tja, und Ammonia ist ein etwas aus der Zeit gefallener aber vollkommen netter und unkomplizierter Freund, der immer für mich da ist, der tut was er kann, der mich versteht, und der mit einem treuen Augenzwinkern darauf wartet, dass ich ihn mit auf die Reise nehme.

Einschränkungen

Ammonia sollte also mitkommen. Weiteres Equipment war ein Audio-Interface von Lexicon, ein RD-8 Drumcomputer von Behringer, sowie ein altes, kleines MIDI-Keyboard von M-Audio; als Recording-Software verwende ich Ardour (welches ich mir während meine Rekonvaleszenz gekauft habe, weil ich eine quelloffene DAW für eine ganz großartige Idee halte).

Was bedeutet das fürs Recording? Nun, nichts Gutes.

Mit dem Lexicon-Interface hat Ardour eine Grund-DSP-Last von 15%, die ganz schnell auf über 30% steigt, wenn irgendetwas passiert. Musik spielt dann noch lange nicht. Das heißt, egal was man macht, dem Gerät geht sehr schnell die Puste aus.

Größere Samples zu laden sorgt bei 4GB Arbeitsspeicher für Speicherengpässe und Swapping. Ein schönes Klavier, aufwändige Software-Synthesizer oder Effekt-Plugins zu verwenden ist nicht drin. Deshalb galt es, die Auswahl der Software-Instrumente und Plugins zu optimieren.

Als Synthies nahm ich Dexed (einen wirklich großartigen, quelloffenen DX7-Klon, der sehr schlank ist und sich sehr gut programmieren lässt) und OB-Xd (eine nicht minder großartige Oberheim-Xa-Emulation, die zwar ein bisschen mehr Leistung frisst, aber beinahe richtig analog klingt). Für den Hall bediente ich mich der Dragonfly Reverb Serie, eine wirklich ganz exzellente Sammlung von freien Plugins, die kommerziellen Lösungen in nichts nachstehen und das Leben deutlich erleichtern (‚dexed‘ ohne Effekte macht nicht so viel Spaß).

Das Ganze wurde ganz bewusst eine Übung in Reduktion. Mehr als vier Audio-Spuren gleichzeitig bringen Ammonia schon sehr stark ins Schwitzen, und wenn noch Effekte auf den Spuren sind oder gar noch mehr als eine OB-Xd-Spur mitspielt, hagelt es Audio-Dropouts, und man kann das Ganze vergessen.

Das Heil in der Bremse

Man kann sich jetzt natürlich die Frage stellen, warum ich mir so etwas antue. In meinem Studio steht ein Mac Mini mit M1 Prozessor, der alles an Spuren und Plugins frisst, was ich mir in meinen kühnsten Träumen ausdenken kann. 12 Software-Synthesizer-Spuren, vier Drum- und Percussion-Spuren, ein fettes Klavier mit 4GB Multisample, dazu 16 gleichzeitige Audio-Eingänge, die mit diversen Analogsynthesizern, Mikrofonen, und Gitarren bespielt werden, und das Ding muss nicht einmal schwerer atmen.

Im direkten Vergleich ist Ammonia mit dem öddeligen FM-Synth und dem scheppernden 606-Nachbau von Behringer schon ein ganz schöner Rückschritt… und genau das ist das Faszinierende daran.

Ich bin es gewohnt, Dinge so perfekt wie möglich zu machen, und sie dabei ab und zu in absurde Größen wachsen zu lassen.

Auf „Thanksgiver“ nahmen wir für eines der Lieder einen Tag lang live ein Cello, ein Englischhorn, eine Oboe, Klarinette, Gesang, zwei Akustikgitarren und einen Flügel auf, und ich mischte das Ergebnis dann drei Wochen lang aus 58 Takes zusammen – einfach weil ich dieses ganz besondere Feeling dieser Instrumente in einem Raum zu einer Zeit einfangen wollte, und weil ich die Möglichkeit dazu hatte.

Das kann man so machen, und das Ergebnis ist auch etwas, auf das ich sehr stolz bin. Aber ich habe das Gefühl, es würde mir manchmal ganz gut tun, gebremst zu werden. Bei „Thanksgiver“ hat mich niemand gebremst. Im Gegenteil, als ich wirklich ernsthafte Zweifel hatte, fielen von den Menschen um mich herum schon mal so Sätze wie „ach komm, Stephan, mach Dir keinen Kopf, die Platte ist so irrsinnig gut, ganz klar kriegst Du 300 Stück davon verkauft“. Das ist leicht gesagt, wenn man die Sache nicht bezahlen muss.

Nun ja. Man soll seinem Herz folgen. Und mein Herz sagte mir vor unserem Urlaub ganz eindeutig:

„Nimm Ammonia mit, und schau mal was passiert“.

Setup

Einmal im Hundehaus angekommen ist es immer ganz erstaunlich, wie schnell jeglicher Stress von uns abfällt wie angetrockneter Schlamm. Ein kleines Feuerchen im Kamin, heiße Nudeln mit schnellem Tomatensösschen, ein bis zwei bis mehrere Biere, und alles ist eine kleine Wolke. Und das gleiche Phänomen stellt sich auch bei unseren beiden Hunden ein.

Obwohl Buba wirklich nicht gerne Auto fährt und Candor inzwischen ein ziemlich alter Hund geworden ist, wirkt die kleine Bleibe im Wesertal jedes Mal wie ein Jungbrunnen auf die beiden. Sie fühlen sich sofort zuhause, gehen auf Streifzüge durch den Garten… und im Fall von Candor passiert auch das eine oder andere Wunder. Ich meine, dieser Hund ist 14 Jahre alt, hat Rückenprobleme, Rheuma und ein vergrößertes Herz. Und das alles vergisst er, wenn wir mit ihm im Hundehaus sind und als Bonus dann auch noch Schnee gefallen ist.

Das Hundehaus hat bei allen von uns gewisse verjüngende Effekte.

Dem Ort wohnt also eine gewisse Energie inne. Warum die nicht auch für meine Musik nutzen.

Mein „mobiles“ Studio ist schnell eingerichtet – einfach den Klapptisch von der Veranda in Bubas Schlafzimmer (wir nennen es ‚Bubas Schlafzimmer‘, in Wirklichkeit ist es ein kleiner Raum mit Sofa, das Buba seit Jahren in ihr Herz geschlossen hat) gestellt, mein Equipment darauf ausgebreitet und fachgerecht verkabelt, und schon am ersten Abend lege ich damit los, ein paar Rhythmen auf dem RD-8 einzuprogrammieren.

Wie sich herausstellt war es eine gute Idee, einen kleinen Drumcomputer mitzunehmen. Erstens hat der analoge Sound durchaus seinen ganz eigenen Charme, zweitens muss Ammonia keine kostbare Rechenzeit verbraten um Schlagzeugsounds zu erzeugen, und drittens kann man den Drumcomputer auch ganz bequem programmieren, ohne die ganze Zeit am Notebook-Bildschirm kleben zu müssen.

Das Wesertal-Zen

Am nächsten Tag geht es mit den Hunden runter zur Weser und ein Stückchen durch den Reinhardswald, am Abend dann kredenzt uns Frau K. eine echte nordhessische Schnibbelbohnensuppe, es wird heißer Met getrunken um die kalten Knochen aufzuwärmen, und schließlich ende ich wieder in meinem kleinen Mobil-Studio und ergänze den gestern programmierten Rhythmus um die ersten Instrumentalspuren.

Es dauert eine Weile, bis ich mit mit „Dexed“ und einer Portion Dragonfly Room Reverb einen ganz neuen E-Piano-Sound zusammenprogrammiert habe, der nicht vollständig fatal nach 80er klingt (klar gibt es schon tausend FM-E-Piano Sounds für den DX7, aber noch nicht von mir ;-)). Hm ja, das klingt schon mal ganz gut. Vielleicht eine Fläche mit dem OB-Xd darunter, und dann ein Bass, und noch ein paar Samples vom Holzstapel vor dem Haus… oops, und schon stottert das Ding, und es gibt Audio-Aussetzer.

Zurückhaltung ist also geboten. Am Anfang stört mich das noch, und ich wünschte, ich könnte mehr anstellen in meinem kleinen Buba-Bedroom-Studio. Doch mit der Zeit lerne ich, mit den Beschränkungen umzugehen, ja, sie für meine Zwecke einzusetzen.

Es ist ganz erstaunlich – in den folgenden zwei Wochen entstehen insgesamt 6 Demos mit den Arbeitstiteln „Arrival“, „Boy, Girl, Forest“, „Nurmijväri“, „Little Dan“, „Frau Buzbi“ und „Last Night“, und vieles davon klingt kein Stückchen wie irgendwas, was ich jemals vorher gemacht habe.

Fazit & Ausblick

Wieder zuhause, glücklich wiedervereinigt mit meinem schönen, großen Heimstudio, und mit ein bisschen Abstand, stelle ich fest, dass die Tracks durchgehend 1a Offline-Album-Material sind.

Klar, man muss noch ein bisschen daran feilen, hier und da ein paar Dinge ändern, aber es ist – soweit ich das bisher überblicken kann – tatsächlich nichts dabei, was ich wegwerfen möchte.

In der Tat ändere ich nicht allzu viel an den Tracks. Auf „Arrival“ und „Nurmijväri“ werfe ich die OB-Xd-Spuren weg und ersetze sie durch einen echten Analogsynthesizer (nämlich meinen geliebten Trident). „Little Dan“ bekommt auch eine ordentliche Portion Trident, ein paar Samples und zusätzliche Percussion, aber nichts, was den Track wirklich ändern würde. Und die meditative Coda von „Nurmijväri“ darf Nicole mit ihrem Harfenspiel verzaubern. Aber auch hier finden keine Änderungen statt, die etwas am grundsätzlichen Feeling des Tracks ändern – alles hört sich für mich immer noch so an, als sei es in jener Holzhütte im Weserbergland aufgenommen.

Und so werden die Stücke wohl allesamt als eine zusammenhängende, hauptsächlich instrumentale Suite, eben „The Gottstreu Sessions“ auf mein nächstes Album wandern, während weitere fotografische Impressionen von unseren Exkursionen dort die entsprechenden Seiten im Booklet zieren werden.

Zumindest ist das der grobe Plan 😉

Bleibt festzustellen, dass das Experiment ein voller Erfolg war, und mich mit jeder Menge neuem Material versorgt hat, das ich unter anderen Umständen so niemals aufgenommen hätte.

Es wird sich lohnen, diese Vorgehensweise weiter zu vertiefen. Wer weiß, vielleicht am Meer. Und vielleicht bekommt Ammonia als Dank von mir vorher noch einen zusätzlichen 4GB-Riegel spendiert. Verdient wäre das auf jeden Fall!

(an dieser Stelle herzlichen Dank an Frau K., die die meisten der schönen Bilder für diesen Beitrag beigesteuert hat, und natürlich an Anja und Frank, unsere wunderbaren Gastgeber im Hundehaus)


Kommentare

Eine Antwort zu „The Gottstreu Sessions“

  1. […] Eine kleine, aber feine EP mit fünf hauptsächlich instrumentalen Stücken, die ich letztes Jahr im Hundehaus im Reinhardswald aufgenommen habe. […]

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